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Militärprozess gegen Bradley ManningJung und naiv

Bisher wurde im Wikileaks-Prozess versucht, die feindlichen Absichten von Whistleblower Bradley Manning aufzuzeigen. Nun sind die Entlastungszeugen am Zuge.

Hatte keine feindseligen Motive, sagen seine Verteidiger: Bradley Manning. Bild: ap

WASHINGTON taz | Die sechste Woche im US-Militärprozess gegen den Whistleblower Bradley Manning beginnt mit dem Antrag der Verteidigung, die schwerwiegendsten Anklagen – insbesondere die „Hilfe für den Feind“ - fallen zu lassen. „Dafür gibt es keine Beweise“, resümiert Anwalt David Coombs den bisherigen Verhandlungsverlauf.

Richterin Denise Lind hat darauf bislang nicht geantwortet. Vorerst gelten daher noch sämtliche 21 Anklagepunkte gegen den 25-Jährigen: von der illegalen Veröffentlichung von Geheimdokumenten, über den Diebstahl von Regierungseigentum, bis hin zu Spionage. In der Summe könnten sie zu einer Verurteilung zu 149 Jahren Gefängnis – ohne Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung - führen. Für Manning bedeutet es lebenslange Haft.

Bislang haben Geheimdienstausbilder, militärische Vorgesetze und Ermittler, sowie andere Soldaten vor dem Militärgericht in Fort Meade versucht, die feindlichen Absichten des Gefreiten Manning, sowie den Schaden seines Tuns für die nationale Sicherheit der USA aufzuzeigen.

Jung und naiv

Seit Montag gehört der Gerichtssaal den Zeugen der Verteidigung. Sie vervollständigen das Bild, das Verteidiger Coombs zu Prozessanfang von seinem Mandanten gezeichnet hat: gute Absichten aber jung und naiv. Sie versuchen nachzuweisen, dass seine Enthüllungen den USA keinen Schaden zugefügt haben. Und dass sie schon gar nicht aus feindseligen Motiven erfolgt sind.

Der prominenteste Entlastungszeuge ist ein Überläufer: Der ehemalige Generalstaatsanwalt des Gefangenenlagers Guantánamo, Col. Morris Davis, hat sein Amt 2007 hin geschmissen. Vor Gericht erklärt er, dass die von Manning enthüllten Akten über Guantánamo-Häftlinge gar nicht so geheim, sondern schon vorher öffentlich zugänglich waren (in einem Dokumentarfilm und einem Buch).

Und er versichert, dass sie weder der „nationalen Sicherheit“ der USA hätten schaden, noch einem Feind nutzen können.

Nach seiner Aussage erinnert Davis in einem Interview mit „Democracy Now“ daran, dass Barack Obama sich dereinst als Präsident der Transparenz angekündigt hat und heute derjenige Präsident ist, unter dem mehr Verfahren wegen „Spionage“ angestrengt werden, als je zuvor. „Da werden Exempel zur Abschreckung statuiert“, sagt er.

Dennoch hofft er, dass Manning am Ende nur für jene Vergehen verurteilt werden wird, derer er sich selber im Februar schuldig bekannt hat. Die damals zugegebene Weitergabe von mehr als 700.000 Geheimdokumenten bedeutet maximal 20 Jahre Gefängnis.

Ein anderer Entlastungszeuge rückt das Bild von Wikileaks zurecht. Nachdem US-Zeitungen kein Interesse an seinem Material gezeigt haben, hatte Manning es an WikiLeaks weitergegeben. Die Gruppe verteilte die Dokumente anschliessend an Medien in aller Welt.

„Top Secret WikiLeaks“

Vor dem Militärgericht in Fort Meade, in einer rundum abgeriegelten Militärstadt, wo auch das Hauptquartier des NSA und anderer Geheimdienste ansässig sind, fährt seit Prozessbeginn jeden Morgen ein weißer Laster mit der Aufschrift „Top Secrets WikiLeaks“ vor. An manchen Tagen wird er besonders streng gefilzt. Doch bislang kam der Fahrer des Lasters noch immer durch und konnte sich anschliessend als Gerichtszeichner betätigen.

Er zeichnete, während die Anklage sich bemühte, WikiLeaks als Informationslieferanten für Al Kaida zu charakterisieren. Und nachzuweisen, dass Manning im Auftrag von WikiLeaks gehandelt habe. Auch wenn der Angeklagte beteuert, dass er aus eigenem Antrieb zum Whistleblower wurde.

In dieser Woche erklärt Professor Yochai Benkler von der Universität Harvard, als Zeuge der Verteidigung, dass WikiLeaks tatsächlich ein Beispiel für „investigativen Journalismus“ ist. Er fügt hinzu, dass auch die großen Medien in den USA und selbst das Pentagon die Gruppe als eine neuartige journalistische Organisation betrachtet hätten.

Erst mit der Veröffentlichung der US-Geheimdokumente über Folter, Mord und diplomatische Intrigen wurde WikiLeaks ab 2010 für Washington zu einem roten Tuch und Opfer aller möglichen Schikanen.

Prozess ohne Bilder

Bradley Manning wohnt seinem eigenen Prozess weitgehend schweigend bei. Er lässt seine drei Anwälte sprechen. Er beantwortet die Frage von Richterin Lind, ob er selbst etwas sagen wolle, mit nein.

Die große Öffentlichkeit in den USA erfährt von alldem fast nichts. Von Anfang an, war der Militärgerichtsprozess journalistisch nur dünn besetzt. Doch seit Edward Snowden seine Enthüllungen über die NSA begonnen hat, ist das Interesse für den zuvor größten Whistleblower Manning erneut geschwunden. Und übertragen wird der Prozess auch nicht.

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7 Kommentare

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  • I
    irgendeiner

    tja, ein Trauerspiel. Im Prinzip hat der junge Mann nur Kriegsverbrechen offenlegen wollen. Naiv mag er ja gewesen sein, dennoch hat er großes geleistet. Statt ihm einen Orden zu geben wird ein Exempel statuiert. Herzlichen Glückwunsch Friedensnobelpreistäger Obama. Wer seine Folterknechte und Mörder so offensichtlich schützt, hat seinen Kredit verspielt. Schade nur dass Obama sich Demokrat schimpft, die republikanische Alternative dürfte auch nicht viel gewissenloser sein. Der NSA liest überall mit? Dann weiß Obama hoffentlich wenigstens was man von solchen Machenschaften hält. Pfui.

  • VL
    vergessene Liebe

    Ja ja ! @ Bernd Goldammer, Hr. Spock und Sigibold haben Recht !

    Es gibt viele Facetten - Interpretationsmöglicheiten- für diesen seltsamen Prozess um Bradley Manning `ans Kreuz zu nageln´...

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    Einerseits verkörpert Bradley Manning eine jugendlich- frische Haltung, so richtig im Geiste der aufklärerischen Verfassung der USA von 1776- und ist eigentlich nur ein junger amerikaner auf den die ganze- patriotische USA stolz sein sollte...

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    Andererseits tendiert es dazu, dass Bradley Manning ein Opfer eines USA- nationalen Angstsyndroms wird- welches sich in genereller Frustration des `american spirit´ äussert.

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    Es ist zu hoffen, das Bradley Manning als Art `divergenter´ - jedoch kreativer Erneuerer des `american spirit´ den Prozess überlebt !!!

    Wie auch Edward Snowden und Julian Assange etc.!

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    Der `Geist der Aufklärung´- denen die genannten Drei aufgrund ihrer Gewissenshaltung zuzuordnen sind- springt oftmals wild- ästhetisch und rational- ethisch...

    Im Sinne des Bedarfs der Zeit !!

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    Woohingegen der `Geist der Gesetzgebung´ oftmals ein verschlafener alter Trottel ist: nicht dem Zeitgeist angepasst !

  • P
    Paul

    Im ND gibt es einen bemerkenswerten Bericht über so einen Verhandlungstag gegen Manning. Raus kommt er wohl nur noch durch ein Wunder.

  • WD
    was da lauft ist menschenverachtend

    Der junge Mann tut mir einfach nur leid, er hat auch keine Möglichkeit den Fängen seines Landes zu entkommen. Er hat wie Snowden nur die Wahrheit gesagt und dann das.

     

    Für mich sind die Amerikaner paranoid. Die Amerikaner sehen in allem und jedem eine Gefahr und einen Feind. Gefahr eher wenn es darum geht, das andere Dinge bauen, wo nur der Amerikaner dies zu besitzen in Anspruch nimmt. USA will wieder Weltmacht sein in allen Bereichen.

     

    Gefahr und Feind war jeder der mit den Russen zu tun hatte, darum musste Lumumba Präsident im Kongo auch so grausam sterben, in Wikipedia ist zu finden, wer damals sagte Lumumba muss weg.

     

    Gefahr für die USA ist schon wenn es Leute gibt, die die Amerikaner nicht so machen lassen wie sie es wollen in anderen Ländern natürlich, dann wird er zum Feind erklärt und schon gibt es Krieg. Und man scheut auch nicht zurück sich wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen, ohne Rücksicht auf die Völker deren Erdschätze man haben will (Buch Weltmacht ohne Skrupel und Economic Hit Man)

     

    Der Amerikaner will keine Freunde, er will Leute die nach seiner Pfeife tanzen, dazu ist man freundlich, das treibt diese Leute auch dazu so zu tun als wären sie Freunde, Bussi Bussi Gesellschaft.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Was wäre los, wenn der Angeklagte Viktor Kurjugin (Name frei erfunden)heißen würde und der gleiche Prozess in Moskau stattfände? Dann würde die veröffentlichte Meinung der westlichen Welt Kopf stehen.Menschenrechte würden angemanhnt. Der Angeklagte hätte bereits einen Nobelpreis zugesprochen bekommen.Und hinter den Kulissen würde über seine Freilassung verhandelt.Gegen Russland wird bereits das Stören eines einfachen Gottesdienstes zur Heldentat hinauf stilisiert. Manning hingegen hat nur billige Mörder der US Armee angezeigt und glasklare Beweise für ihre Kriegsverbrechen geliefert. Von diesem US Armee-Gericht kann man nicht mehr als ein weiteres Verbrechen erwarten.Mannings Verteidiger wollen sein junges Leben retten. Ihr Vortrag ist unter den Gegebenheiten eines Unrechtsstaates verständlich.

  • M
    mr.spock

    ...auch die Geschwister Scholl wurden seinerzeit martialisch verurteilt:

     

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Geschwister_Scholl

     

    Das Geschwisterpaar Hans und Sophie Scholl wurde am 18. Februar 1943 beim Auslegen von Flugblättern an der Münchner Universität von deren Hausmeister Jakob Schmid überrascht und bei der Gestapo denunziert. Bereits am 22. Februar 1943 wurden sie vom Volksgerichtshof unter der Leitung von Roland Freisler zum Tod verurteilt und noch am selben Tage im Gefängnis München-Stadelheim mit der Guillotine enthauptet. Ihr Grab befindet sich auf dem dortigen Friedhof am Perlacher Forst (Grab Nr. 73-1-18/19).

     

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Weiße_Rose

  • S
    sigibold

    149 Jahre Haft. Aus deutscher Sicht ein Irrsinn. Allerdings gibt es auch europäische Staaten, die solch seltsame Urteile fällen. Unabhängig von diesem Verfahren hat die Straffindung in der USA häufig nichts mehr mit Rechtsprechung zu tun, sondern mit alttestamentarischer Rache.