Prozessauftakt gegen Bradley Manning: Anklagepunkt „Hilfe für den Feind“

Der Prozess gegen den bekanntesten Whistleblower der jüngeren US-Geschichte hat begonnen. Anklage und Verteidigung beschreiben ihre gegensätzlichen Wahrheiten.

Bis August steht Bradley Manning vor Gericht. Bild: ap

FORT MEADE taz | Zwei gegensätzliche Beschreibungen von Bradley Manning prallen in dem winzigen Gerichtssaal der Kaserne Fort Meade in Maryland aufeinander: Für Staatsanwalt Joe Morrow ist der Gefreite „arrogant“, „giert nach Berühmtheit“ und hat so viele geheime Informationen „geerntet“ wie er nur irgend konnte: In der Absicht, sie an „Wikileaks“ weiterzugeben. Und in dem Wissen, damit dem „Feind“ zu helfen.

Für Verteidiger David Coombs hingegen ist der Gefreite im Irak-Krieg auf eine Brutalität gestossen, die sein Gewissen nicht ertragen konnte. Mit der Veröffentlichung von den Geheimdokumenten über Kriegsverbrechen, Folter, Guantánamo und US-Diplomatie wollte er eine öffentliche Debatte auslösen, und „die Welt verbessern“. Verteidiger Coombs: „Er war 22 und naiv. Aber voller guter Absichten.“

Zum Prozessauftakt gegen den größten Whistleblower der US-Geschichte, beschreibt der Staatsanwalt am Montag den Angeklagten, wie einen Getriebenen, der immer mehr Daten „ernten“ will. Er liefert eine Chronologie, die zeitlich mit Kampagnen von Wikileaks zusammen trifft.

Er erwähnt, dass die enthüllten Geheimdokumente einen „hohen Marktwert“ haben, als wäre Manning für Geld zur eigenen Bereicherung zum Whistleblower geworden. Und er streut immer wieder den Namen von Wikileaks-Gründer Julian Assange ein. Als ginge es bei Mannings Prozess darum, die Anklage für den nächsten Prozess – dieses Mal gegen den Flüchtling in der ecuadorianischen Botschaft in London – vorzubereiten.

Offenbarungserlebnis für den Whistleblower

Verteidiger Coombs hingegen beschreibt einen idealistischen jungen Gefreiten, der als Religion auf seiner militärischen Erkennungsmarke „Humanist“ angegeben hat. Und der zu dem Zeitpunkt als er in den Irak-Krieg entsandt wird, tief in die Suche nach seiner eigenen Geschlechteridentität steckt. Mannings erster und einziger Weihnachtsabend im Dezember 2009 im Irak-Krieg gerät bei dem Verteidiger zu einem Offenbarungserlebnis für den späteren Whistleblower.

Der erlebt in der Kaserne bei Bagdad wie US-Soldaten, deren Konvoi gerade eine Minenexplosion schadlos überstanden hat, laut feiern. Niemanden von ihnen stört es, dass stattdessen ein Wagen mit einer irakischen Familie von der Explosion getroffen wurde – und dass die Familie nun einen Toten und vier Verletzte hat.

Auf den Zuschauerbänken des Gerichtssaal ist nur Platz für 16 Personen. Die anderen Zuschauer müssen der Verhandlung in einem Übertragungsraum folgen. Fast alle kommen aus der Unterstützer-Bewegung, die Manning seit dessen Verhaftung im Mai 2010 unterstützt und seine Verteidigung finanziert.

In einer Verhandlungspause sagt Cornel West, prominenter Professor für Theologie und Afroamerikanische Studien von der Universität Princeton, dass er seinen „mutigen Bruder“ unterstützt. Medea Benjamin von der Anti-Kriegs-Gruppe „Code Pink“ spricht von einem „Schauprozess“, mit dem potenzielle Whistleblower eingeschüchtert werden sollen.

Mit umgedrehtem T-Shirt im Zuschauerraum

Der Anwalt Michael Ratner widerspricht der Behauptung der Anklage, Manning habe mit der Veröffentlichung das Leben von US-Bediensten gefährdet. Und die frühere Militärangehörige Ann Wright, die 2003 aus Protest gegen den Irak-Krieg aus dem Staatsdienst ausgeschieden ist, stellt fest: „die Kriminellen gehen straffrei aus. Die Whistleblower kommen ins Gefängnis.“

Manche Zuschauer sitzen mit umgedrehtem schwarzen T-Shirt, auf dem im Nacken das Etikett zu sehen ist, im Gerichtssaal. Das Wort „Truth“ - Wahrheit – das auf die „richtige“ Seite des Shirts gedruckt ist, hat den Soldaten am Eingang zur Kaserne nicht gefallen. Die Zuschauer mussten das Shirt ausziehen, oder umdrehen.

Für Bradley Manning wird sich bis August entscheiden, ob er den Rest seines Leben hinter Gittern verbringt. Am ersten Tag seines Militärprozesses sagt er nur wenige Worte: Er bestätigt, dass er auf ein Geschworenengericht verzichtet. Und dass er an seinen zuvor gemachten Aussagen fest hält.

Ende Februar hat Manning zugegeben, dass er Hunderttausende von Daten weitergegeben hat. Das Schuldbekenntnis könnte die Arbeit des Gerichtes radikal verkürzen. Und würde reichen, um Manning zu bis zu 20 Jahren Gefängnis zu verurteilen. Doch der Staatsanwaltschaft reicht das nicht. Sie besteht darauf, an dem Anklagepunkt „Hilfe für den Feind“ festzuhalten. Und damit an der Möglichkeit von Lebenslänglich für Manning.

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