Militär in Israel: Reservisten wollen nicht mehr

In Israel wird der Konsens der Wehrpflicht in Frage gestellt – und auch in Deutschland hat sich die Einstellung zur Armee geändert.

Ein israelischer Reservist, der an einer Blockade teilnimmt spricht in ein Megaphon, hinter ihm Protestierende mit israelischen Flaggen

Reservisten der israelischen Armee blockieren eine Straße aus Protest gegen die Justizreform Foto: Ohad Zwigenberg/ap

Der Protest gegen den Plan, Israel in eine Diktatur zu verwandeln, hat eine neue Stufe erreicht. Neben aggressiven Konfrontationen mit der Polizei gaben komplette Einheiten von Reservisten bekannt, dass sie sich nicht mehr zum Dienst einfinden würden, wenn man sie ruft. Damit bekam der verbreitetste Konsens in Israel einen Riss: der Armeedienst. Der Wehrdienst sollte stets „über der Politik“ stehen. Jetzt erschüttert die Politik selbst diese ungeschriebene Regel.

Parallel zu diesen Entwicklungen stellen auch in Deutschland die aktuellen geopolitischen Veränderungen eine bisher weit verbreitete Einstellung zur Armee auf den Kopf. Folge dreier Kriege – zweier Weltkriege und des Kalten Kriegs – war eine tiefe Verachtung jeglichem Militarismus gegenüber. Weite Teile der deutschen Gesellschaft wurden zu Pazifisten. Entsprechend reduzierte man die Armee auf das Minimum, und Deutschland wurde zu einer Wirtschaftsmacht ohne wirklich schlagkräftige Armee. Dieses Modell bekam infolge des Balkankriegs und der amerikanischen Invasion in Afghanistan erste Macken, doch erst jetzt, infolge des Dramas, das sich in der Ukrai­ne abspielt, ändert es sich grundsätzlich. Viele Deutsche merken, dass die pazifistische Haltung nicht länger mit moralischer Verantwortung vereinbar ist. So ist die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, 100 Milliarden Euro in die Modernisierung der Armee zu investieren, nicht nur eine pragmatische Entscheidung angesichts der neuen Gefahrenlage, sondern sie hat auch eine moralische Seite.

Ich muss zugeben, dass mir als Sohn von Holocaust­überlebenden Namen wie „Einheit zur Verteidigung des Vaterlands“ oder der Begriff „Führungsmacht“, wie ihn Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erwähnte, Unbehagen verschaffen. Ebenso stimmten mich die Nachrichten über Sympathie für die radikalen Rechten in den Reihen bestimmter Armeeeinheiten nicht gerade froh. Doch auch in Israel tendiert ein großer Teil junger Soldaten dazu, sich mit rechten Parteien zu identifizieren, die mindestens so radikal sind wie die in Deutschland, wenn nicht noch radikaler. Es sind die Reservisten – die älteren – nicht die jungen Soldaten, die ihren Widerstand gegen die Regierung zum Ausdruck bringen.

Einem Artikel in der Los Angeles Times entnahm ich, dass bei einer Veranstaltung zur Anwerbung junger Soldaten Rockmusik gespielt und über universale Werte gesprochen wurde. Das ist komplett verschieden zu dem religiös-nationalistischen Ton, der die militaristische Rhetorik ausmachte, als ich selbst Rekrut war. Später fand ich mich zum Glück in einer Einheit von komplett weltlichen Computer-Nerds wieder. Derselbe Artikel berichtet über deutsche Soldaten, die vor zwei Jahren im Rahmen einer Nato- Militärübung in Litauen marschierten und dabei ein Lied zu Ehren von Hitlers Geburtstag sangen.

Assoziationen sind eine schwer beherrschbare Angelegenheit, und so drängt sich mir der Gedanke auf, dass die Wehrmacht 1941 auch in Litauen marschierte, was die Welt meines Vaters, der damals ein jüdischer Junge in der Stadt Kaunas war, ins Wanken geraten ließ. Sich den Assoziationen zu ergeben, wäre eine irrationale Fixierung. Historische Kontinuität hat einen Sinn, und so sollte auch die Verantwortung, die sich daraus ergibt, Sinn machen. Wer aber nicht wahrhaben will, dass sich die Realität verändert, der ist blind und böse. Deutschland heute ist weit weg vom Deutschland damals – weiter noch als das heutige Israel. So ist die Befehlsverweigerung der israelischen Reservisten völlig einleuchtend, und genauso einleuchtend ist die Notwendigkeit, das deutsche Militär aufzurüsten.

Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul

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