Mildes Urteil nach versuchtem Femizid: Mordversuch unterbrochen
Obwohl Thomas P. seine Ex-Partnerin fast zu Tode würgte, verurteilt das Gericht in Hamburg ihn nur wegen gefährlicher Körperverletzung.
Die Nebenklage führte die Betroffene selbst, die den Angriff ihres Ehemanns knapp überlebte. Das Urteil ist für sie enttäuschend: Obwohl die Staatsanwaltschaft zehn Jahre und zehn Monate Haft wegen versuchten Mordes forderte, verurteilte das Schwurgericht den Täter Thomas P. am Donnerstag lediglich zu sechs Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Selbst P.s Verteidigerin hatte in ihrem Plädoyer eine Strafe von sieben Jahren für angemessen erklärt.
P. hatte seine Ehefrau Maja P. (Name geändert) 57 Mal heimlich beim Duschen und auf der Toilette durch das Schlüsselloch gefilmt. Obwohl er die Aufnahmen „für den privaten Gebrauch“, wie er sagte, angefertigt hatte, drohte er ihr mehrfach, die Bilder ihres Intimbereichs unter ihren Arbeitskolleg*innen zu verbreiten.
Diese Taten hatte er vor Gericht zugegeben, und auch für die 58. Tat bekannte er sich schuldig – obgleich er wesentliche Details anders schilderte als die Betroffene. Ganz anders als diese beschrieb er auch die letzten Jahre der zwanzigjährigen Ehe. Während Thomas P. sich immer mehr von Maja P. zurückgesetzt gefühlt habe, weil sie Erfolg im Job hatte, beschrieb sie ein Martyrium von Eifersucht, Kontrollzwang und regelrechtem Stalking.
Täglich rief er sie Dutzende Male auf der Arbeit an, sendete ihr Whatsapp-Nachrichten, verlangte, dass sie sich abmeldete, wenn sie nicht erreichbar sei, und verbot ihr, sich zu schminken. Permanent habe er ihr vorgeworfen, sie halte sich aufgrund ihres beruflichen Erfolges für etwas Besseres. Trotz allem bemühte sich Maja P. lange um die Ehe, drängte ihren Mann in eine Therapie und versuchte, ihm entgegenzukommen. Als es nicht mehr ging, er sie bereits einmal gewürgt und die Therapie abgebrochen hatte, leitete sie die Scheidung ein.
Notarzt-Anruf als „strafbefreiender Rücktritt“
An einem Sonntag im Mai sollte Thomas P. die letzten Sachen aus der Wohnung holen. Er erschien pünktlich, wirkte ruhig und gefasst. Nach einem Gespräch in der Küche ging er ins Schlafzimmer, sah die zusammengepackten Sachen, schlug ihr ins Gesicht, setzte sich auf sie und würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Dann strangulierte er sie mit vier zusammengebundenen Kabelbindern. Notfallsanitäter*innen retteten ihr Leben – er hatte sie selbst gerufen.
„Zwar sind die Merkmale für einen Mordversuch gegeben“, sagte der Richter bei der Urteilsverkündung. P. habe heimtückisch und aus niedrigen Motiven gehandelt: Eifersucht, Wut und ein Besitzanspruch gegenüber seiner Ex-Partnerin hätten ihn angetrieben. Er habe sie als Objekt betrachtet. Am Abend vor der Tat hatte er seinem Cousin zudem Sprachnachrichten geschickt, in denen er ankündigte, sie wahrscheinlich umzubringen und dafür ins Gefängnis zu müssen.
Der Grund, warum die Kammer P. dennoch nur für gefährliche Körperverletzung verurteilte, ist eine Rechtskonstruktion, die der Idee des Opferschutzes entspringt. Wenn ein Täter seine Tat freiwillig abbricht und, etwa durch einen Notruf, doch noch zur Rettung des Opfers beiträgt, gilt das als „strafbefreiender Rücktritt“. Das sah die Kammer im vorliegenden Fall gegeben. Eine Strafe wegen versuchten Mordes war damit vom Tisch.
Die Staatsanwaltschaft behält sich vor, in Revision zu gehen. Auch Claudia Krüger kündigte an, für die Nebenklage Revision einzulegen. Krüger hält P.s Rücktritt für nicht glaubwürdig. Der Grund dafür ist unter anderem die Aussage von Thomas P.s Eltern: Als Maja P. mit blauem Gesicht, blutendem Ohr und blutunterlaufenen Augen bewusstlos auf dem Boden lag, klingelten sie Sturm. Sie wussten um die Verabredung ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter und machten sich Sorgen.
Bevor P. die Tür öffnete, ging er ins Bad, wusch sich die Hände und empfing seine Eltern mit den Worten: „Sie ist tot. Den Rettungswagen habe ich schon gerufen.“ Erst dann verließ er die Wohnung, schmiss die Kabelbinder ins Gebüsch, stieg in sein Auto, alarmierte den Notarzt und stellte sich der Polizei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“