Milchpreise im Sinkflug: Die Misere der Milchbauern
Niedersachsens Agrarminister befürchtet, die sinkenden Milchpreise könnten Bauern in den Ruin treiben. Er fordert Maßnahmen von Bund und EU.
In Niedersachsen waren die Erzeugerpreise zuletzt regelrecht abgestürzt, teilweise liegen sie zurzeit unter 29 Cent pro Kilogramm Milch. Der Grund: Es wird viel zu viel Milch produziert. Lebensmittelketten und vor allem Discounter drücken die Preise auf ein Niveau, von dem viele Bauern nicht leben können. Daher müsse es „Anreize zur Mengenregulierung“ geben, forderte Meyer.
Freiwilliger Verzicht
Die Instrumente gegen Preisverfall müssten auf EU und Bundesebene verbessert und ausgebaut werden. Etwa in Form des sogenannten Marktverantwortungsprogramms, wie es der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter kürzlich vorgeschlagen hatte. Danach erhalten die Landwirte, die freiwillig auf Produktion verzichten, eine Ausfallentschädigung.
Die Milchquote wurde 1984 in der Europäischen Gemeinschaft eingeführt:
Wegen jahrelanger Milchüberschüsse waren hohe Lagerbestände an Butter und Milchpulver entstanden. Die Quote sollte "Butterberg" und "Milchsee" abbauen helfen.
Im Zuge der EU-Agrarreform wurde die Milchquote zum 1. April 2015 wieder abgeschafft.
Die Erzeugerpreise liegen derzeit in Niedersachsen unter 29 Cent pro Kilogramm Milch - Tendenz fallend.
Die Zahl der Milchviehhalter in Niedersachsen ist seit 2010 um rund 2.300 Betriebe oder 17 Prozent gesunken. Die erzeugte Milchmenge stieg gleichzeitig von 5,73 auf fast sieben Millionen Tonnen
Um den Milchpreis zu stabilisieren, kämen auch staatlich geförderte Versicherungssysteme zur Liquiditätssicherung sowie schnelle finanzielle Hilfen in Betracht, „um in Krisenzeiten die Existenz von Landwirten zu sichern“, sagte Meyer.
Unterstützung erfährt der Minister durch seine Parteifreunde im Bundestag. Auch sie befürchten, dass niedrige Milchpreise Betriebe ruinieren könnten. Am Ende könnten die Milchbauern einen Weg gehen, den man schon bei der Schweinehaltung und der Masthühnchenproduktion gesehen habe, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter.
„Nämlich, dass wir im Grunde nur noch Riesenställe haben und die bäuerliche Landwirtschaft in dem Bereich verschwindet.“ Statt Milch „jetzt vollkommen gnadenlos dem freien Spiel des Marktes zu überlassen“, müsse ein Interventionsmechanismus geschaffen werden. Wenn der Preis unter eine bestimmte Menge falle, müsse die EU eingreifen, forderte Hofreiter.
Eine weitere Option gegen den Preisverfall sieht Meyer vor Ort im Ausbau des niedersächsischen Weidemilchprogramms. Nirgendwo in Deutschland stünden so viele Kühe auf der Weide wie in Niedersachsen. Deshalb sei es höchste Zeit, das Produkt Weidemilch, „das ganz klar auch ein großer Verbraucherwunsch ist“, wirksamer und besser zu vermarkten.
Auch beim Käse seien gute Potenziale für eine Weidemilchkennzeichnung und Förderung möglich. „Wir wollen Weidemilch in Niedersachsen zu einem Markenzeichen machen, um die Leistung der Milchbauern zu honorieren, die ihre Kühe auf der Wiese grasen lassen“, sagte Meyer. Sein Ministerium entwickele bereits ein Label, „das für Wertschätzung bei den Verbrauchern sorgt und Kaufbereitschaft für ein Produkt mit einem angemessenen Preis weckt“.
Die Chancen für ein solches Vorhaben seien gut, urteilte Achim Spiller, Professor für Lebensmittelmarketing an der Uni Göttingen. Er hat in repräsentativen Befragungen die Meinung der Verbraucher zum Thema Weidemilch erforscht. Die Befragungsergebnisse zeigten, dass die Verbraucher die Weide für die deutlich beste Form der Kuhhaltung hielten.
Eine reine Stallhaltung werde dagegen mehrheitlich kritisiert. „Die Milchwirtschaft in Niedersachsen sollte sich daher aus Eigeninteresse, also um den guten Ruf der Milch zu bewahren, für eine Beibehaltung der Weidewirtschaft einsetzen“, sagte Spiller gestern. Die Weidehaltung der Kühe sei immerhin „ein ganz wichtiges potenzielles Kaufargument“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner