Milchboykott zeigt Wirkung: Händlern geht die Milch aus
Der Lieferstopp der Milchbauern ist erfolgreich. Kaisers Tengelmann rechnet mit Ausfällen, auch Plus und Real sehen Schwierigkeiten, die Regale zu füllen.
In der Schweiz herrscht wieder Frieden. Am Dienstagmorgen einigten sich Milchbauern und Molkereien auf höhere Preise. In Deutschland geht der Milchboykott hingegen weiter - und mit den Worten des hessischen Landwirtschaftsministers: "Einige wenige schlagen noch immer über die Stränge." Wie Wilhelm Dietzel (CDU) hat auch sein Kollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), kein Verständnis für Blockaden von Molkereien.
Seit einer Woche streiken tausende Landwirte für einen höheren Milchpreis. Zusätzlich hatten am Montag Bauern im ganzen Land den Zugang zu Molkereien versperrt. So sollten auch jene, die sich nicht am Streik beteiligen, daran gehindert werden, die Betriebe mit Milch zu versorgen. Einige gaben die Blockaden in der Nacht allerdings auf: Am Nordmilch-Werk in Edewecht seien Schadenersatzforderungen von einer halben Million Euro angedroht worden, sagte Heinrich Rauert, einer der Organisatoren. Molkereigeschäftsführer Klaus Rücker sprach von einem Schaden von 5.000 Euro, der pro Stunde entstanden sei. In den Molkereien Rücker in Aurich und Ammerland in Wiefelstede - ebenfalls in Niedersachsen - seien die Tore wieder frei, teilten Sprecher der Unternehmen mit. Auch in Schleswig-Holstein haben die Bauern die Blockaden wieder beendet. Andere Betriebe blieben aber von der Lieferung abgeschnitten, darunter Europas größte Molkerei Sachsenmilch.
Wie es mit den Blockaden weitergeht, konnte der Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) am Dienstag nicht sagen. Diese würden nicht vom Verband organisiert, sondern von den Bauern vor Ort, sagte Verbandssprecherin Jutta Weiß der taz. Der Verband halte am Lieferstopp fest.
Der zeigt nun tatsächlich Wirkung. Zunächst war weniger Käse und Butter zugunsten von Frischmilch produziert worden. Am Dienstag hieß es von den Einzelhandelsketten Plus und Real, es gebe "Schwierigkeiten" in einzelnen Läden. Kaisers Tengelmann rechnet ab heute mit Ausfällen.
Die Konsumforscherin Claudia Gaspar von GfK geht davon aus, dass die Verbraucher dennoch Verständnis für den Boykott haben. "Denn anders als bei den Preiserhöhungen im letzten Jahr sehen die Konsumenten jetzt, dass die Bauern unter der Preissituation leiden", sagt Gaspar. Die Verbraucherzentrale Bundesverband ruft aber nach einer "schnellen Einigung", um Engpässe zu verhindern.
Doch die ist nicht in Sicht. Am Sonntag war ein Gespräch zwischen Erzeugern und Verarbeitern ohne Ergebnis geblieben. Die Milchbauern fordern einen Basispreis von 43 Cent je Liter - derzeit erhalten sie 25 bis 35 Cent. Die Verträge, die Ende April zwischen Handel und Molkereien gemacht wurden, sollen aufgelöst werden. Sie sind Basis für die aktuellen Preise. "Auch die genossenschaftlich organisierten Molkereien haben sich teils in einen massiven Preiskampf begeben, um in die Handelslistungen zu kommen", sagt BDM-Sprecherin Weiß.
Aber sind nicht auch Bauern in den Gremien der Molkereien vertreten? "Ja", sagt sie. "Das ist aber so, als würde ein einzelner Aktionär bei BMW in der Hauptversammlung die Hand heben und protestieren." Ein Kompromiss, wie er in der Schweiz erzielt worden ist, ist derzeit für den BDM jedenfalls kein Thema.
Die Schweizer Milchproduzenten hatten bei einem Durchschnittspreis von 70 Rappen zehn Rappen mehr je Liter gefordert - geworden sind es nun sechs Rappen, also vier Cent, die ab Juli gezahlt werden. Mehr als ein Drittel der 27.000 Milchbauern beteiligte sich am Boykott.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen