Migrationspolitik in Chile: Gabriel Boric spielt den Hardliner
Chiles linker Präsident Gabriel Boric steht in Migrationsfragen von rechts unter Druck. Jetzt droht er tausenden Migrant:innen mit Abschiebung.
Auch stark angestiegen ist die Zahl der Menschen, die über nicht genehmigte Grenzübergänge einreisen, meistens nach tagelangen Fußmärschen durch die Atacamawüste im Norden des Landes. Tagsüber ist es dort extrem heiß und nachts extrem kalt.
Gleichzeitig ist in Chile die Anzahl krimineller Banden, ungeklärter Mordfälle und der Drogenhandel angestiegen. Obwohl diese Entwicklung in keinem nachweisbaren kausalen Zusammenhang zur Migration steht, nutzen rechte Politiker:innen die Situation aus, um die Migrant:innen zu stigmatisieren und ein Feindbild zu schaffen – ein Diskurs, der von vielen Medien übernommen wird.
Und die populistische Strategie ist erfolgreich: Einer Umfrage des Centro de Estudios Públicos (CEP) zufolge glauben sieben von zehn Chilen:innen, dass die Migrant:innen für den Anstieg der Kriminalität verantwortlich sind.
Abschiebeflug ohne Erfolg
Die rechte Opposition, die im Parlament die Mehrheit hat, setzt die Regierung von Gabriel Boric unter Druck – und der Präsident gibt nach. „Die Regierung muss kriminelle Migranten abschieben“, sagte Felipe Kast, Senator der Partei Evópoli vergangene Woche in einem Interview mit dem Kanal T13. Die Parlamentsabgeordneten der rechten Partei Renovación Nacional, der auch der rechte Ex-Präsident Sebastián Piñera angehört, stellten Mitte November ein Ultimatum: Wenn die Regierung bis zum Jahresende nicht 12.000 Migrant:innen abschiebt, will die Opposition eine Verfassungsklage gegen die Innenministerin Carolina Tohá einreichen.
Boric teilte zwar in einer Ansprache mit, dass „Migration nicht mit Kriminalität verwechselt werden“ dürfe. Aber er ordnete einen Flug zur Abschiebung von 60 Migrant:innen nach Venezuela an. Nur durfte das Flugzeug nicht in Venezuela landen, weil es offenbar nicht über die notwendige Autorisierung verfügte.
Mehrere der Menschen, die abgeschoben werden sollten, hatten keine Einträge im Strafregister, sondern waren lediglich über unerlaubte Grenzübergänge eingereist. Der gescheiterte Flug verschärfte die Debatte über die Migrationspolitik der Regierung zusätzlich.
Am 31. Dezember läuft jetzt eine Frist ab, die Boric gesetzt hat. Alle volljährigen Migrant:innen, die vor dem 30. Mai über nicht genehmigte Grenzübergänge nach Chile eingereist sind, sollen sich mittels eines biometrischen Registrierungsverfahrens anmelden. Der Staat registriert ihre Fingerabdrücke, eine biometrische Aufnahme ihres Gesichts und persönliche Daten. Wer dem nicht nachkommt, soll als „verdächtig“ eingestuft, gesucht und abgeschoben werden.
Bislang allerdings haben nur etwa die Hälfte der 230.000 Personen, die sich anfangs für den Prozess angemeldet hatten, ihre Daten registrieren lassen. Das geht aus Daten der Nationalen Migrationsbehörde hervor. Der Druck auf Boric steigt, dem von ihm selbst gesetzten Ultimatum dann auch Taten folgen zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los