Migration und Tod in Zeiten von Corona: Auch im Leben gleich
Es ist kein Naturgesetz, dass Migration so oft in den Tod führt. Und gerade in Coronazeiten gibt es für das Nichtstun keine Entschuldigung.
M igranten und Flüchtlinge sind die großen Verlierer der Coronakrise. Nicht nur sind sie denselben medizinischen und ökonomischen Risiken ausgesetzt wie alle anderen Menschen, sie sind darüber hinaus von Grenzschließungen und Reisebeschränkungen besonders betroffen. Denn sie bewegen sich von einem Land zum anderen, sie sind an mehr als einem Ort verwurzelt und haben mehr als eine Heimat.
Die Grundlage der Covid-19-Bekämpfung ist Isolierung und Abschottung: Wer die Zirkulation des Virus unterbindet, kann die Ausbreitung der Pandemie erschweren. Die Grundlage von Migration und Flucht sind hingegen Bewegung und Grenzüberschreitung – wer diese unterbricht, zerschneidet das Leben der betroffenen Menschen.
Die jetzt veröffentlichten Erkenntnisse über das Leid und das Sterben afrikanischer Flüchtlinge auf dem Weg in Richtung Europa, lange bevor sie auch nur das Mittelmeer erreichen, sind eigentlich nicht neu.
An Horrormeldungen über Folter in libyschen Internierungslagern oder über das Verdursten in der Sahara-Wüste hat sich die europäische Öffentlichkeit gewöhnt – so sehr, dass kaum jemand sich noch die Mühe macht, den afrikanischen Flüchtlingen und Migranten in Europa zuzuhören, ihre Geschichten zu sammeln, ihre Erfahrungen und Erinnerungen und auch ihre Trauer und ihre Traumata zu dokumentieren. Jede und jeder, der es nach Europa schafft, kennt Menschen, die auf der Strecke geblieben, die unterwegs gestorben sind. Und jeder dieser Todesfälle ist ein Fall unterlassener Hilfeleistung.
Es ist kein Naturgesetz, dass Menschen in Bewegung von ärztlicher Versorgung abgeschnitten sind; dass sie an Wassermangel und unbehandelten Verletzungen sterben; dass sie im brutalen Mafia-Spiel zwischen geldgierigen Schleusern und korrupten Sicherheitskräften buchstäblich vor die Hunde gehen.
Es ist auch kein Naturgesetz, dass Migranten zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken und dass die Überlebenden in EU-Ländern oftmals im gesellschaftlichen Abseits landen und rechtlos in sklavereiähnlichen Ausbeutungsverhältnissen leben, auf die das weiße Europa nur dann aufmerksam wird, wenn sich dort das Coronavirus ausbreitet.
All das kann man verhindern und stoppen. Das zu tun oder eben auch nicht ist eine politische Entscheidung.
Gerade in Coronazeiten gibt es für das Nichtstun keine Entschuldigung. Wer Covid-19-Tote zählen kann, der kann auch tote Flüchtlinge zählen. Und etwas gegen das Sterben tun. Im Tod sind alle Menschen gleich. Höchste Zeit, dass das auch im Leben gilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen