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Migration in der Coronakrise„Probleme haben sich verdreifacht“

Die Corona-Krise trifft alle, aber nicht alle gleich. Organisationen für Migration unterstützen Eltern im Homeschooling und helfen mit Informationen.

Einige Frauen erzählen, dass ihr Mann früher nur am Wochenende gewalttätig war, jetzt öfter Foto: Ina Fassebender/dpa

Marzena Nowak ist normalerweise den ganzen Tag unterwegs. Dann schüttelt sie Hände, was das Zeug hält, organisiert, redet und koordiniert. Alle nennen sie einfach nur „Marzena“. So etwas wie ein „Markenzeichen“ sei dieser Name mittlerweile, sagt die Polin. Marzena Nowak ist eine Netzwerkerin: Sie baut Beziehungen auf, pflegt Kontakte – auch nach Büroschluss und am Wochenende. Nowak ist Vorsitzende von Polki w Berlinie, einem Berliner Verein für polnische Frauen, der sich für Inte­gra­tion und Chancengleichheit von Migrantinnen aus Polen einsetzt. Mit praktischen Informationen in den sozialen Netzwerken, Ratgebern, die bei der Orientierung in Berlin helfen sollen, und Veranstaltungen.

Neben ihrer Vereinsarbeit engagiert sich Marzena Nowak für die sozialen Belange von polnischen Frauen in Deutschland. Sie hat ein Netzwerk für polnischsprachige Berater ins Leben gerufen und eine Telefon-Hotline in polnischer Sprache: Erziehungsprobleme, Arbeitslosigkeit, Sprachprobleme und häusliche Gewalt – all das sind Themen, mit denen manche Polinnen in Deutschland schon in Nicht-Corona-Zeiten zu kämpfen hatten. „Gerade eben haben sich diese Probleme aber verdreifacht“, so Nowak. Einige Frauen würden erzählen, dass die Ehemänner früher eher nur an den Wochenenden gewalttätig waren. Das habe sich nun geändert.

Gegen diese Entwicklung kämpft Nowak nun vom Homeoffice aus. Sie sitzt von früh bis spät vor dem Computer, telefoniert, schreibt E-Mails, nimmt an Zoom-Konferenzen teil. „Mein gegenwärtiger Hauptjob ist die Suche von aktuellen Informationen für meine Community.“ Die Polin weiß, dass die Coronakrise für viele Frauen mittlerweile ein Sicherheitsproblem bedeutet.

Für nicht wenige ihrer Landsfrauen ist die Situation im Moment so erdrückend, dass sie ihre Wohnungen möglichst schnell verlassen müssen. Wenn nötig, versucht Nowak deshalb auch über deutschlandweite Möglichkeiten zu informieren: „In Berlin sind die Frauenhäuser vielerorts bereits voll, deshalb arbeite ich im Moment mit Kontakten in Westdeutschland, die mich ständig über frei werdende Plätze informieren.“

Marzena Nowak, Vorsitzende von Polki w Berlinie, einem Verein für polnische Frauen Foto: privat

Die Coronakrise trifft nicht alle gleich. Sie trifft Migrantinnen und ihre Kinder auf besondere Weise. Berufstätige Mütter in Teilzeit gehören nicht selten zu den Ersten, die ihre oft prekären Jobs verlieren, während sie sich zu Hause zwischen Haushalt, Homeschooling und Kinderbetreuung aufreiben. Einige suchen sich Hilfe bei Migrantenorganisationen. Mit gutem Grund, findet Dr. Cornelia Schu vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: „In Zeiten von Corona arbeiten viele Migrantenorganisationen als eine Art Feuerwehr für ihre Communitys. Migrantenorganisationen sind hierfür auch insofern gut gerüstet, als viele von ihnen Unterstützung für die ganze Familie anbieten.“

Für Schu geht die Arbeit natürlich aber noch weiter: „Migrantenorganisationen sind vielfältig und decken das gesamte Spektrum bürgerschaftlichen Engagements ab. Das reicht von der Pflege einer gemeinsamen Herkunftskultur über entwicklungspolitisches Engagement für eine bestimmte Herkunftsregion bis zum Engagement für gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland.“

Angesichts der Pandemie tritt die politische Arbeit von Migrantenorganisationen derzeit allerdings ein bisschen in den Hintergrund. Auch Ana María Acevedo vom Projekt „Gelebte Mehrsprachigkeit“, einer Kooperation zwischen den deutsch-spanischen MaMis en Movimiento e. V. und dem SprachCafé Polnisch e. V. aus Berlin, bekommt das zu spüren. Normalerweise organisiert die Kolumbianerin Seminare für mehrsprachige Familien und Erzieherinnen. Acevedo ist ausgebildete Logopädin und will das Thema Mehrsprachigkeit nicht nur mithilfe von spezifischen Bildungsangeboten in die Öffentlichkeit bringen, sondern mehrsprachige Familien in ihre Arbeit miteinbeziehen.

In normalen Zeiten schafft sie das gut. Doch die aktuelle Krise hat Acevedos Arbeit ziemlich verändert: „Acht Stunden vor dem Computer sitzen – am Anfang war ich überhaupt nicht daran gewöhnt. Meine Arbeit sieht normalerweise ganz anders aus.“ Dazu kommen für die Kolumbianerin durchschnittlich zwei Zoom-Meetings am Tag. Abends ist sie dann „immer total fertig“. Das hängt auch damit zusammen, dass für die mehrsprachigen Familien, mit denen Acevedo arbeitet, der Ausnahmezustand inzwischen zum Normalzustand geworden ist.

Der Spagat zwischen Hausfrau, Köchin, Lehrerin und Mama ist für Frauen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, besonders schwierig. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Frauen gerade am Ende ihrer Kräfte sind“, sagt Ana-María Acevedo. Wenn schon deutsche Eltern unter der Last des täglichen Homeschooling-Programms ächzen, dann könne man sich ja vorstellen, wie es Eltern mit wenigen oder gar keinen Deutschkenntnissen geht. „Die Schule ist ein großes Problem für diese Familien“, sagt Ana-María Acevedo.

Aus diesem Grund hat die Kolumbianerin das Seminarprogramm ihres Projekts umgestellt und unterstützt mehrsprachige Familien inzwischen auch online. Bis zum Sommer ist bereits einiges in Planung: „Unser digitales Angebot reicht bereits bis August und wir haben es trotz allem eigentlich relativ gut geschafft, uns an die neue Situation anzupassen“, so Acevedo. Auch inhaltlich hätten sie sich auf die momentane, extrem schwierige Lage vieler mehrsprachiger Familien eingestellt. Mit Seminarthemen wie zum Beispiel „Wie lernen Kinder auf Deutsch schreiben?“ oder „Wie lassen sich Kinder, Homeoffice und Homeschooling für nicht-deutsche Familien verbinden?“ In die Zukunft blicke sie aber mit gemischten Gefühlen, sagt die Kolumbianerin: „Unser Projekt lebt auch von seinen Festivals und Fachtagen, bei denen Menschen mit unterschiedlichen Herkunftsgeschichten zum Austausch zusammenkommen. All das fällt erst mal auf unbestimmte Zeit weg.“

Ana María Acevedo vom Projekt Gelebte Mehrsprachigkeit Foto: privat

Planen mit Ungewissheit, das scheint derzeit auch für Migrantenorganisationen an der Tagesordnung zu sein. Und wie in vielen anderen Teilen der Gesellschaft, wird hier der digitale Wandel vorangetrieben. Für Menschen mit wenigen oder keinen Deutschkenntnissen ist es viel komplizierter, sich zu informieren. Das Gefühl des Kontrollverlusts kann so besonders groß werden: Man sorgt sich um Familienmitglieder in der Ferne, versteht neue staatliche Verordnungen nicht oder hat Probleme, das Homeschooling nach deutschem Lehrplan zu organisieren. Migrantenorganisationen versuchen all diese Probleme mit ihrer Arbeit aufzufangen. Doch einige befürchten gleichzeitig, dass sie irgendwann ohne finanzielle Unterstützung dastehen.

Fokus aufs Machbare

Remziye Uykun arbeitet für das Projekt Migra Up, eine durch das Bezirksamt Berlin-Pankow geförderte Fachvernetzung und Fachberatung für Migrantenorganisationen. Das Projekt will Migrantenorganisationen, wie Marzena Nowaks Polki w Berlinie oder Ana-María Acevedos Gelebte Mehrspachigkeit bei ihrer Arbeit unterstützen und stärken. „Wir wollen ermutigen und motivieren. Das geht nicht ohne persönliche Beziehungsarbeit, doch im Moment ist das unmöglich“, sagt Uykun.

Wie in vielen Migrantenorganisationen, musste man deshalb auch bei Migra Up umdenken: „Auch wir haben uns gerade auf digitale Medien umgestellt“, sagt Remziye Uykun. Einfacher mache das ihre Arbeit aber nicht: „Wir alle stehen gerade unter einem extremen Druck. Schließlich müssen wir nachweisen, dass wir unsere Arbeit auch unter diesen schwierigen Umständen erledigen können.“ Für Uykun geht es in diesen Tagen um ein „anderes Arbeiten“. Allein die Frage, in welchem Medium man ein bestimmtes Angebot umsetzen kann, nehme jetzt viel Zeit und Recherche in Anspruch: „Wir müssen Referenten finden, die bereit sind, Videobeiträge zu erstellen, und wir müssen Moderatoren finden, die ­Online-Workshops leiten können.“ Und nicht alle Menschen hätten schließlich die technischen Voraussetzungen, um digitale Medien nutzen zu können, sagt Uykun.

„Migranten stärken Migranten“ lautet das Motto der politischen Lobbyarbeit von Migra Up – es geht um politische Partizipation und Empowerment. Diese ehrgeizigen Ziele hat Remziye Uykun von Migra Up aber nach hinten verschoben: Wie viele andere konzentriert sie sich gerade auf das „Machbare“.

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