Migration aus Afrika: Libyscher Warlord hält Flüchtlinge auf
Ein Kriegsfürst in Libyen sorgt dafür, dass sich die Zahl der Migranten auf der Mittelmeerroute verringert. Ist die italienische Regierung beteiligt?
Sabratha, für seine römischen Ruinen bekannt, war zuvor der Hauptort gewesen, von dem aus Flüchtlinge von Schleusern ins Mittelmeer geschickt wurden. Jetzt patrouilliere an den Ständen von Sabratha rund um die Uhr eine bewaffnete Gruppe unter dem Kommando seines Krisenstabes zusammen mit „empörten Bürgern“, berichtete Bürgermeister Dhawadi dem libyschen TV-Sender 218.
Wer ist die bewaffnete Gruppe? Lokale Quellen berichten der taz von einer Vereinbarung zwischen libyschen Stammesführern, der Gemeinde und einer „Brigade 48“, die sich selbst als Teil einer noch zu gründenden Nationalgarde Libyens betrachtet. Anführer der „Brigade 48“ ist Ahmed Dabashi, der noch vor wenigen Wochen selbst zu den einflussreichsten Schmuggelbossen der Region zwischen Tripolis und der tunesischen Grenze zählte.
Zur Großfamilie Dabashi gehören schillernde Figuren wie der ehemalige UN-Botschafter Libyens und der frühere lokale Anführer des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS), Abdallah Dabashi. Der unterhielt fünf Kilometer südlich von Sabratha entfernt ein Camp, in dem IS-Kämpfer für den Kampf trainiert wurden. Das Camp wurde Anfang 2015 von US-Kampfflugzeugen bombardiert. Im Februar 2016 starb Abdallah Dabashi bei einem Angriff.
Schmugglerboss Ahmed Dabashi hatte sich mit seinem IS-Cousin arrangiert und wurde dabei angeblich Multimillionär. Dass damit auch der IS beim Geschäft mit den Migranten gut mitverdiente, nahm man in Sabratha in Kauf.
Der neue starke Mann von Sabratha
Aber zuletzt war die Allianz zerbröckelt. Nachdem die IS-Kämpfer aus vielen Städten Libyens verdrängt wurden und Gräueltaten begangen, führte Ahmed Dabashi eine Koalition gegen die „tunesischen Extremisten“ an.
Er wurde zunächst vertrieben – aber nun ist er zurück, der neue starke Mann von Sabratha. Seine Truppe residiert in der Polizeikaserne der Stadt. Vieles deutet darauf hin, dass hinter ihm Mittelsmänner der italienischen Regierung stehen. Auf lokalen Facebook-Seiten bedankt sich die Leitung des Krankenhauses von Sabratha für üppige Lieferungen von Medikamenten und Geräten bei der italienischen Regierung. Dabashi selbst präsentiert sich als Vermittler zwischen den lokalen Behörden und Rom.
Die Wende komme überraschend, so der politische Analyst Mohamed Khalil aus der libyschen Hauptstadt Tripolis. Doch gebe es für Warlords wie Dabashi gute Gründe, jetzt den Grenzwächter zu spielen: „Die Milizenführer in ganz Libyen haben Angst, auf einer geheimen Kriegsverbrecherliste zu stehen. In der Kooperation mit den italienischen Behörden sehen sie die Chance, mit weißer Weste auf der Seite der Übergangsregierung zu stehen und ihre Milizen zu legalisieren.“
Die Verlierer dabei sind die Flüchtlinge. In umzäunten Farmen bei Sabratha versorgt der libysche Rote Halbmond nun Tausende festsitzende Migranten aus Westafrika. Halbmond-Mitarbeiter Mohamed Sifau berichtet von dramatischen Zuständen. „In den Ghettos der Schmugglerbosse lebten die Migranten schon unter unmenschlichen Bedingungen. Aber auf so viele Menschen, die ja normalerweise nur wenige Tage hierbleiben, ist niemand vorbereitet.“
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) fliegt nun verstärkt über Tripolis freiwillige Rückkehrer in ihre westafrikanischen Heimatländer. Doch immer noch gibt es Milizen in der Hauptstadt, die offiziell mit der Regierung verbündet sind, aber sich von der Schleusung von Bangladeschern und Pakistanern finanzieren. Diese kamen bisher über Sudan nach Tripolis und reisten weiter über Sabratha nach Europa. Nun schicken die Schleuser ihre menschliche Ware an Strände weiter östlich.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg