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Vermögensungleichheit und BundestagswahlDer Trump-Effekt

Warum geben so viele Menschen aus der arbeitenden Bevölkerung ihre Stimme der AfD? Sie machen sich so zum eigenen Henker – ganz wie in den USA.

AfD-Plakat für die Veranstaltung: Migranten in Deutschland, mit Serge Menga, in Landshut Foto: Michael Bihlmayer/imago

A rian Berisha (Name geändert) ist 38 Jahre alt. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen und arbeitet im öffentlichen Dienst. Die Familie wohnt im Eigenheim, es geht ihnen grundsätzlich gut. Und trotzdem wählt der Mann, der eine Einwanderungsgeschichte hat, die AfD. Man könnte – so man gewillt ist – das sogar nachvollziehen.

Doch zunächst ein Blick in die USA. Es gab genügend Gründe, Donald Trump, den mehrfach verurteilten Straftäter mit autoritären, rassistischen, frauenfeindlichen Ansichten, die er im Wahlkampf offen im ganzen Land verbreitete, nicht zum Präsidenten zu wählen. Trotzdem gaben knapp mehr als die Hälfte der Menschen, die zur Wahl gingen, diesem Mann ihre Stimme, darunter viele Frauen, Schwarze, Latinos und Latinas, Hispanics, Eingewanderte. Sind diese Menschen alle Rassisten, Sexisten, Faschisten? Das wäre zumindest eine recht steile These.

Trumps Wäh­le­r:in­nen geben auf diese Frage in der Regel zwei Antworten: die Lebenshaltungskosten. Und die „illegale Migration“. Um den Zusammenhang zwischen diesen Antworten zu verstehen, muss man ein paar Jahrzehnte zurückspringen: zu Ronald Reagan. Während der Präsidentschaft Reagans begann in den USA ein kontinuierlicher Abbau des Sozialstaats und eine massive Umverteilung von unten nach oben, die bis heute anhält. Reagan erzählte der Bevölkerung, dass der Sozialstaat nur den „Faulen“ („undeserving“) diene und brachte die Menschen so dazu, für ihre eigene Verarmung zu stimmen.

Das Versprechen, dass es den Kindern besser gehen wird als einem selbst, gilt für viele Menschen nicht mehr

Die arbeitende Bevölkerung wurde zum eigenen Henker gemacht. Kombiniert mit enormen Steuerprivilegien für Reiche führte das laut dem Thinktank Rand Corporation dazu, dass in den vergangenen 50 Jahren etwa 50 Billionen Dollar von den unteren 90 Prozent der Bevölkerung zum oberen einen Prozent der Gesellschaft verschoben wurden. Egal, ob Republikaner oder Demokraten an der Regierung waren. Öffentliche Infrastruktur, Schulen, soziale Absicherung – alles verlor an Qualität und Wert. Das System benachteiligt die arbeitende Bevölkerung bis heute strukturell.

Aus Rache Trump gewählt

Auftritt Donald Trump heute: Schuld an eurer Lage sind die „illegalen Migranten“ und das korrupte System. Dabei gehört sein ganzes Leben zum System, zu diesem einen Prozent, dessen Reichtum auf der Arbeit der Menschen im Land basiert. Trump stellt sich dennoch als „Außenseiter“ dar. Und viele Menschen denken: Alle Präsidenten haben versprochen, dass es uns besser gehen wird. Es ist aber immer nur schlimmer geworden. Und nun kommen auch noch Migranten und nehmen uns den Rest an Wohlstand und Sicherheit. Trump ist der Einzige, der unseren Schmerz sieht, er verspricht Veränderung. Die bringt er auch – allerdings noch stärker zum Vorteil der Vermögenden. Aber das interessiert viele nicht. Der US-amerikanische Historiker John Komlos erklärt, dass sie Trump „aus Rache“ gewählt haben: „Das System hat sie nicht gut behandelt.“

Zurück nach Deutschland. Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist fast so hoch wie in den USA. Auch in Deutschland sind die Vermögen in einem winzigen Teil der Bevölkerung konzentriert. Der sogenannte Gini-Koeffizient von 0 bis 1 misst die Ungleichheit in einer Gesellschaft: Je näher er bei 1 liegt, desto ungleicher sind Einkommen und Vermögen verteilt. In den USA liegt dieser Wert für Vermögen bei 0,85, in Deutschland bei 0,79. Deutschland gehört innerhalb der westlichen Demokratien zu den Staaten, in denen Vermögen am stärksten ungleich verteilt sind. Das liegt in erster Linie an Steuerprivilegien für Vermögende.

Vermögen und Einkommen werden in Deutschland unterschiedlich behandelt. Vermögende können, wenn sie gute Be­ra­te­r:in­nen haben, mit einem effektiven Steuersatz von 0 oder 1 Prozent wegkommen. Im Schnitt zahlen laut ZDF-Recherchen Multimillionäre 29 Prozent Steuern, Milliardäre 26 Prozent. Während Menschen, die wie der AfD-Wähler Arian Berisha von ihrem monatlichen Einkommen leben, bis zur Hälfte davon in Form von Steuern und Abgaben an den Staat geben müssen. Vermögende hingegen können systematisch mit weit niedrigeren Steuersätzen leben. Die arbeitende Bevölkerung wird strukturell benachteiligt.

Das Versprechen, dass es den Kindern besser oder zumindest nicht schlechter gehen wird als einem selbst, gilt für viele Menschen in Deutschland nicht mehr. Einer von ihnen ist Arian Berisha. Er und viele andere Menschen zahlen hohe Steuern und Abgaben, sie ziehen die nächste Generation auf – und bekommen in einem der reichsten Länder der Welt nicht das, was sie eigentlich dafür bekommen sollten: Eine gute Infrastruktur, hochwertige öffentliche Schulen ohne Mangel an Lehrkräften, einen Kitaplatz, bezahlbaren Wohnraum, moderne Digitalisierung, eine funktionierende und gut ausgestattete Verwaltung. Und so spüren diese Menschen, dass etwas nicht stimmen kann.

Der AfD geht es um Spaltung

Was hören sie von den Parteien? Die „Faulen“ seien daran schuld, die So­zi­al­leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen – und die Migranten. Das ist natürlich Blödsinn. Aber für Arian Berisha klingt es überzeugend, auch, weil das nicht nur die AfD sagt. Fast alle Parteien machen bei dieser Verantwortungsverschiebung mit. Die AfD gibt sich nun als vermeintlicher „Außenseiter“, der sagt: Wir sehen euren Schmerz. Und wir helfen euch. Das tun sie natürlich nicht. Auch sie wollen die Reichen nur reicher machen. Ihnen geht es allein um Spaltung, Hass und Macht.

Es wird Menschen geben, die sagen, dass es keine Entschuldigung ist, eine menschenverachtende Partei zu wählen. Das mag sein. Das Problem ist: Eine Demokratie kann es auf Dauer nicht aushalten, wenn ein großer Teil der Bevölkerung strukturell benachteiligt wird. Die AfD ist ein Symptom. Und wenn sich an diesem System nichts Grundlegendes verändert, wird dieses Symptom nicht nur nicht verschwinden; es wird noch viel schlimmer werden.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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5 Kommentare

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  • Gab es da nicht 2015 einen Report des Weltwährungsfont? Der das Konzept des "Trickle down" (wenn es den Reichen gut geht fällt auch für "die da unten" was ab), den die Lindners & Co so gerne anführen, als das entlarvte, was es ist: Blödsinn?



    Da wurde festgestellt, dass eine Gesellschaft umso stabiler ist, je größer der Wohlstand in der Breite der Gesellschaft ist. Der Reichtum einiger Weniger kombiniert mit einer zunehmenden Verarmung der Anderen ist hingegen das Rezept für Unruhe und kann/ wird? - ein Blick in die Geschichtsbücher hilft hier - zu Revolution/ Bürgerkrieg führen.



    Das die Regierenden eine immer schnellere Öffnung der Schere zwischen arm und reich nicht nur zulassen, sondern auch noch aktiv befördern, ist an Dummheit kaum zu überbieten.



    Und da der Mensch in der Masse nun mal dazu neigt dumm und brutal zu sein kann das noch ziemlich eklig werden.



    Das unter diesen Umständen gerade die Zulauf haben, die diesen Zustand fördern: ist das schon "Stockholm-Syndrom"?

  • Die meisten migrantischen Communities sind strukturell doch wesentlich konservativer als andere Deutsche. Ich hab in eine polnische Familie eingeheiratet und da wird fleißig AfD gewählt teilweise. Bei Russlanddeutschen sieht es nicht anders aus. Die derzeitigen demographischen Entwicklungen lassen auf einen Rollback bestimmter progressiver Politikansätze schließen sobald die Mehrheitsverhältnisse sich noch weiter geändert haben. In 20-30 Jahren wird uns die heutige Zeit noch als paradiesischer Zustand in Erinnerung sein.

  • Das ist der entscheidende Satz:

    Und wenn sich an diesem System nichts Grundlegendes verändert, wird dieses Symptom nicht nur nicht verschwinden; es wird noch viel schlimmer werden.

    Demokratieappelle ändern nichts

  • Ich möchte zu dem Artikel noch ergänzen: Zusätzlich zu der Polemik gegen vermeintlich faule Menschen (nach 20 Jahren Hartz IV dürfte es diese demnach eh kaum noch geben?) gibt es auch so einen Stolz auf die eigene Situation kombiniert mit einer Art Missgunst. So habe ich vereinzelt von Menschen in Deutschland mit Migrationsgeschichte auch Aussagen gehört wie:

    "Meine (Groß-)Eltern bekamen nichts als sie damals ganz legal aus Land XY in die Bunderepublik kamen. Mit harter Arbeit haben wir uns etwas aufgebaut und waren nie kriminell. Aber die, die jetzt hierher kommen sind faul und/oder kriminell."

    Ich deute das so, dass sie nicht pauschal gegen Zuwanderung sind, aber gegen (zu viel?) Sozialstaat. Geprägt von der eigenen Biografie. Gerne bitte mich ergänzen oder korrigieren, wenn ich das falsch aufgefasst habe.

    • @vøid:

      Ich denke es ist einfach ein Wunschgedanke, dass Migranten automatisch linke Parteien wählen. Migranten sind nicht anders als Einheimische. Theoretisch ist alles dabei.



      Gerade die Erzählung und der Stolz, selbst hart geschuftet zu haben, die Erzählung: "Ich (oder meine Eltern) haben das alles erduldet" beinhaltet eben fast immer eine Abwertung anderer. Da man aber objektiv immer noch nicht auf der Gewinnerseite steht, muß dann logischerweise anderen alles geschenkt worden sein. Letztlich ist es ein Selbstbehauptungsreflex.



      Dass dieser Neid fast immer Menschen in ähnlichen Lebensumständen trifft, das ist das Erstaunliche, fast nie trifft dieser Abwehrreflex Menschen, denen es real besser geht, die wirklich geerbt haben, in Lebensumständen stecken, die ihnen wirklich schon viel gegeben haben, ohne dass dies erarbeitet werden mußte. (Das ist, nicht wertend sondern beschreibend gemeint!)