Mietstreik in Berlin: Da streikt sich was zusammen
Das Bündnis „Wir zahlen nicht“ wirbt für die Beteiligung an einem Mietstreik. Die Coronahilfen von Bund und Senat reichten nicht.
Auf der Website, die zusammen mit Programmierer:innen des linken Peng-Kollektivs datensicher aufgesetzt worden sei, befindet sich neben der Vorstellung des politischen Anliegens eine Fragemaske, auf der Mieter:innen verschiedene Fragen beantworten können: etwa, ob man wegen der Pandemie Probleme hat, die Miete zu bezahlen. Und inwiefern man bereit wäre, sich an einem Mietstreik zu beteiligen. Zudem kann man auf der Seite seine persönliche Lage schildern, seine Mail-Adresse und seine Postleitzahl hinterlassen. So will das Bündnis Mieter:innen vernetzen und geeignete Mittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen finden.
Die Bundesregierung hatte wegen der finanziellen Einbußen vieler Mieter:innen im Zuge der Coronakrise bereits ein Gesetz beschlossen, dass Kündigungen aufgrund von Zahlungsrückständen wegen der Coronakrise untersagte. Seitdem dürfen Mieter:innen Zahlungsrückstände zwischen April und Juni zwei Jahre lang stunden. Der Berliner Senat hat sich zudem dafür eingesetzt, Zwangsräumungen, Gas- und Wassersperren auszusetzen.
Das alleine reiche nicht, wie Michail Meier vom „Wir zahlen nicht“-Komitee der taz sagt: „Die jetzige Gesetzgebung sorgt nur für Verschuldung vieler Mieter: Die Einkommen brechen weg, ohne wieder reinzukommen.“ Maier sagt: „Die aktuelle Gesetzeslage garantiert den Immo-Unternehmen ihre Gewinne.“ Zudem sei problematisch, dass Mieter:innen nachweisen müssten, dass die Verschuldung coronabedingt ist.
„Keine Mietstreik-Fetischisten“
Grundsicherung sei zudem keine Hilfe für alle. Beim Wohngeld gebe es enorme bürokratische Hürden – und Gewerbemieten übernehme das Amt schon gar nicht, so Maier: „Außerdem ist das nichts anderes, als dass der Staat die Mieten übernimmt, sodass wieder die Gesellschaft die Kosten der Krise tragen muss. Und es bedeutet eine gravierende Verarmung der Betroffenen.“
Während seit Ausbruch der Coronapandemie in Spanien und den USA auch aufgrund schlechterer sozialer Grundsicherung und fehlendem Mietrecht Mietstreiks bereits in vollem Gange sind, sind sie hierzulande überwiegend noch Diskussionsgegenstand der mietenpolitischen Bewegung.
Michail Meier, Mietenaktivist
Natürlich wisse man, dass ein Mietstreik auch enorme Risiken wie etwa Kündigungen und Zwangsräumungen mit sich bringe, sagt Meier: „Wir sind keine Mietstreik-Fetischisten und streben diesen nicht als Selbstzweck an. Wenn unsere Forderungen auch anders zu erreichen sind: umso besser.“ Mietstreik sei das letzte Mittel – und man brauche dafür eine kritische Masse. „Einen ganzen Häuserblock kann man nicht räumen“, sagt Meier. Aber man wolle der sozialen Ungleichheit, die sich durch die Coronamaßnahmen verschärft hat, Solidarität entgegensetzen – „je mehr mitmachen, desto effektiver können wir das“.
Indes ist noch unklar, wie schwer die Folgen der Coronakrise für den Mietenmarkt sind. Nina Henckel von Deutschlands größtem Vermieter, Vonovia, sagt der taz, dass bisher nur ein Prozent der bundesweit 350.000 Haushalte Stundungen wegen Corona beantragt hätten. David Eberhart vom Wohnungsunternehmerverband BBU spricht für die städtischen Wohnungsgesellschaften gar von weniger als einem Prozent. Bei der Deutsche Wohnen mit 160.000 Wohnungen gab es knapp 1.400 Stundungsanfragen wegen Corona. Berlins größter städtischer Vermieter Degewo teilte mit, bisher hätten sich rund 300 von 75.000 Mieter:innen mit der Bitte um Stundung an sie gewandt.
Reiner Wild vom Berliner Mieterverein sagt, die Beratungen hätten zuletzt leicht zugenommen: „Allerdings laufen bei uns zumeist auch nur diejenigen auf, deren Vermieter bestreiten, dass finanzielle Ausfälle an Corona liegen.“ Während Wild den Mietstreik als Instrument ablehnt, spricht er sich für eine stärkere Einbeziehung von Vermieter:innen in die gesellschaftlichen Kosten der Krise aus – etwa durch die Übernahme von Mietrückständen durch einen Fonds, in den auch Vermieter einzahlen sollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl