Mesut Özil in der Kritik: Der Integrationsverweigerer
Wer sich in ihn nicht verliebt, hat von Fußball keine Ahnung, sagt Arsène Wenger. Er hat recht. Warum mögen ihn die Deutschen trotzdem nicht?
Man ist sich einig. Die Schultern von Mesut Özil hängen einfach zu tief. Lustlos, leblos, inspirationslos schaue er bei dieser Weltmeisterschaft wieder einmal aus, schreiben viele deutsche Journalisten. Und kultiviere ein Phlegma, das dem deutschen Spiel nicht guttue. Özil zieht offenbar die Kritik auf sich wie das Licht die Mücken. Schon bei seinem vorletzten Auftritt vor der WM wurde er in Mönchengladbach beim Testspiel gegen Kamerun von deutschen Fans ausgepfiffen.
Viele Emotionen sind da im Spiel. Die Unzufriedenen bemeckern immer wieder, dass Özil nur schön spielen könne – und die von ihnen gewünschte nötige Härte nicht bringt. Mesut Özil und die Deutschen – das ist in der Tat ein ganz besonderes Beziehungsverhältnis, das erklärungsbedürftig ist.
Einst nämlich beteuerte Özil, sein größter Traum sei es, für die türkische Nationalmannschaft zu spielen. Um dann später nicht weniger leidenschaftlich zu bekunden, er fühle sich als Deutscher und wolle für den DFB auflaufen. „Unentschlossen zwischen den Fußball-Kulturen“ titelte die FAZ vor fünf Jahren. Özil entschied sich dann für das DFB-Team, das damals mit großer Verspätung begann, fußballerische Talente unter Einwandererkindern zu integrieren. Von der deutschen Internationalmannschaft war plötzlich die Rede.
Falsche Körpersprache
Am Beispiel von Özil zeigt sich nun aber, dass die Integration der verschiedenen Fußballkulturen in Deutschland noch sehr entwicklungsbedürftig ist. Womit man wieder auf die hängenden Schultern von Mesut Özil zu sprechen kommen muss. Er habe nicht die richtige Körpersprache, wird immer wieder moniert. Der „deutsche Messi“ darf nicht solche hängenden Schultern haben wie der echte. Obwohl der argentinische Ausnahmekönner ja trotz seines körpersprachlichen Understatements ganz passabel Fußball spielen kann.
Viel lieber sähe man Özil sich so aufrecht und kraftstrotzend in den Kampf werfend, wie es Sami Khedira zu tun pflegt. Hauptsächlich aber ist alles ein kulturelles Missverständnis. Die Özil-Versteher sind vor allem außerhalb von Deutschland angesiedelt.
Für das USA-Spiel erhielt der Mittelfeldmann von der englischen Presse die beste Note von allen deutschen Nationalspielern. Und José Mourinho, sein einstiger Trainer bei Real Madrid, sagte einmal: „Özil ist Özil. Man darf von ihm nicht erwarten, dass er zwischen den Torauslinien hin- und herläuft, Kilometer macht. Dass er der große emotionale Leader dieser Mannschaft ist und alle mitreißt mit seiner aggressiven Art. Nein, das ist nicht Mesut.“
Özils Stärken liegen in einem anderen Bereich. Kaum einer kann das Spiel so leicht erscheinen lassen wie er. Sein Gespür für die richtige Entscheidung bei Spielzügen und sein virtuoses Geschick mit dem Ball haben nur wenige. Und seine starken Szenen entwickeln sich meist aus dem Unscheinbaren. Er entzieht sich gern der Aufmerksamkeit, um dann plötzlich geradezu bewunderungswürdige Momente zu kreieren.
Facebook- und Twitterstar
Das Problem ist nun, dass Özil dazu neigt, es allen recht machen zu wollen. Er ist sehr auf seine Außenwirkung bedacht. Seine Begabung hat ihm ja auch viele Freunde eingebracht. Welche echten Freunde er hat, weiß keiner, aber Facebook-Fans hat er 20.760.901 (Stand: Donnerstagvormittag), und 6,75 Millionen Twitternutzer folgen ihm.
Eine solch üppige Anhängerschaft hat keiner seiner Teamkollegen. Entsprechend gewissenhaft pflegt er seine Accounts. Und er weiß genau, dass diese Sympathien an Bedingungen geknüpft sind. Dass er zaubert und kämpft. Mit seinem Können ist die Messlatte der Kritik in einen Höhenbereich gerückt, die Özil fast die Luft zum Atmen nimmt.
Er wolle an seiner Körpersprache arbeiten, beteuerte er in den letzten Tagen überaus reumütig. Vermutlich würde man den 25-Jährigen aber eher stärken, wenn man ihn so anders sein ließe, wie er ist. Denn das, was man ihm als Manko anlastet, beschäftigt ihn mehr als andere. „Jeder kleine Fehler ärgert mich maßlos. Das war schon als Kind so“, sagte er dieser Tage. Es falle ihm schwer, sich zu konzentrieren. Mesut Özil verfällt leicht ins Grübeln und verbleibt dann meist auch im Unscheinbaren.
Eigentlich könnte er auch einiges zu seiner Verteidigung ins Feld führen. Aber es wirkt eher kleinlaut, wenn er bemerkt: „Ich glaube schon, dass ich gute Spiele abgeliefert habe.“ Er mühte sich jedenfalls redlich auf der für ihn undankbaren rechten Seite. Dass seine Qualitäten aus der Zentrale heraus viel eher zum Tragen kämen, bemerkt er allenfalls nebenbei.
Er ordnet sich ins Team ein, auch wenn es ihn um die Möglichkeit bringt, Außerordentliches zu zeigen. Arsène Wenger, sein Trainer bei Arsenal London, sagte vorigen Herbst: „Wenn du Mesut auf dem Platz siehst und dich dann nicht in ihn verliebst, hast du keine Ahnung von Fußball.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin