Merkels EU-Pakt mit der Türkei: Die Kritik ist parteiübergreifend
Die CSU fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, mehr zu reden. Kritik kommt vor allem aus der Linken und von den Grünen.
Die CSU ist gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Zwar hatte die Kanzlerin vergangene Woche im Bundestag darauf hingewiesen, dass der noch nicht auf der Tagesordnung stehe. Doch das Abkommen von Freitag vereinbart ausdrücklich, die Verhandlungen fortzuführen.
Auch unmittelbar soll die Türkei profitieren: indem ihre Staatsbürger kein Visum mehr benötigen, um nach Europa zu reisen. Erfüllt die Türkei bis zum Sommer eine Reihe von Bedingungen, tritt die Regelung in Kraft – so hatten es nicht nur die EU-Mitglieder im vergangenem Jahr beschlossen.
Auch die Koalitionsspitzen haben dazu ein Papier unterzeichnet. Davon will die CSU inzwischen nichts mehr wissen: Sie wolle Visa-Freiheit maximal für „bestimmte Personengruppen“ mittragen, hatte die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt gesagt, etwa für Geschäftsreisende.
Doch Merkel ignorierte diese Einschränkung, als sie nach Brüssel fuhr. Und so steht nun fest: Ende April will die EU abschließend prüfen, ob die Türkei alle Bedingungen zur Visa-Freiheit erfüllt. Die CSU müsste also sauer sein. Müsste.
Bislang hören sich die Kommentare führender CSU-Politiker so an: „Es ist gut und notwendig, dass Europa zusammensteht und mit einer Stimme spricht. Das ist ein Erfolg der Kanzlerin“, sagte Hasselfeldt der Passauer Neuen Presse. Einen „Schritt nach vorne“, nennt Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, das Abkommen. Sogar CSU-Chef Horst Seehofer sagt in der Bild am Sonntag fast schon mild über das Abkommen: Man müsse „in den nächsten Wochen sehr genau darauf schauen, was daraus wird“.
Eigentlich aber ist die CSU nicht zufrieden. Deshalb fordert Seehofer auch, den Bundestag in die Entscheidungen über die EU-Flüchtlingspolitik einzubeziehen. „Wir sind der Meinung, dass der Bundestag bei dem Thema bislang zu kurz gekommen ist“, heißt es erläuternd aus Parteikreisen. Auch von einem „Schattendasein“ ist die Rede.
Doch Abkommen, wie das mit der Türkei, sind nicht von der Zustimmung des Parlaments abhängig. Deshalb will die CSU nicht nur mehr reden, sondern fordert Merkel und die CDU auf, ein „Signal“ zu senden: dass „die bedingungslose Willkommenskultur in Deutschland beendet“ sei. Was das nach Asylpaketen, Grenzkontrollen und dem Türkei-Deal noch sein soll, erläutert niemand aus der Partei.
Die Kritik der Opposition
Die Linkspartei bezweifelt derweil, ähnlich wie Menschenrechtsorganisationen und UN-Vertreter, dass der Deal mit internationalem und europäischem Recht vereinbar ist. „Die Bundesregierung sollte die Anschuldigungen durch ein unabhängiges Gutachten prüfen lassen, wenn sie es ernst mit der Menschenrechtskonvention und europäischen Grundrechten meint“, sagte Fraktionsvize Jan Korte.
Er nennt drei Gründe für seine Zweifel: Die Türkei habe die Genfer Flüchtlingskonvention nicht vollständig akzeptiert, lasse den Konflikt mit den Kurden eskalieren und schiebe Flüchtlinge manchmal sogar nach Syrien ab.
Die Grünen teilen diese Kritik. Manche in der Partei fordern zudem eine Lösung für diejenigen Flüchtlinge, die bereits in Griechenland festsitzen und deshalb vom Abkommen nicht direkt berücksichtigt werden. Die Europa-Abgeordnete Ska Keller sagte während eines Besuches in Idomeni, angesichts der „untragbaren Situation“ dort sollten „die EU-Staaten ihre Grenzen öffnen und diese Menschen reinlassen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich