Merkel bei Putin: „Russland schadet sich selbst“
Merkels Russlandbeauftragter Schockenhoff ist im Kreml in Ungnade gefallen. Ein Gespräch über Modernisierung, Eliten und Schaum vorm Mund.
taz: Herr Schockenhoff, fühlen Sie sich in Russland als Störenfried oder als Aufklärer?
Andreas Schockenhoff: Wie jemand, der der Zielsetzung des Petersburger Dialogs zum Durchbruch verhilft. Uns geht es um offenen Austausch unter den Zivilgesellschaften. Offen heißt nicht gelenkt. Den Akteuren des bürgerschaftlichen Engagements dürfen die Themen nicht vorgeschrieben werden. Das Ergebnis der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft sollte zum Ausdruck bringen, wie sich ein Klima der Einschüchterung in Russland breitmachen konnte. Diese Zivilgesellschaft ist kein Gegner, wie sie von der Führung im Kreml gesehen und zunehmend kriminalisiert wird. Die Akteure sind Träger der Modernisierung, die Russland anstrebt. Unsere Botschaft: Eine kritische Zivilgesellschaft hilft Russland, stark und wettbewerbsfähig zu werden.
Hat in der deutschen Russlandpolitik ein Umdenken eingesetzt?
Ich kann und will nicht den Schulmeister spielen und Bewertungen vornehmen. Was mir Sorgen macht, ist die zunehmende Einschüchterung. Die Menschen halten die neuen Gesetze – das Versammlungs-, Hochverrats- und Agentengesetz – für politisch motiviert. Das hat eine fatale Wirkung für die Zukunft des Landes. Die Summe der Gesetze macht die Botschaft aus. Wir müssen reagieren, weil Deutschland Interesse an einem starken, modernen und rechtsstaatlich verfassten Russland hat, das es ohne aktive Bürger nicht geben wird. Es geht um den Dialog des Staates mit seinen Bürgern.
Ist eine neue Strategie gegenüber Russland notwendig?
Wir müssen klar analysieren, dass wir im Moment unterschiedliche Vorstellungen von Modernisierung haben. Die russische Führung versteht darunter technische Innovation. Modernisierung sollte jedoch in die Menschen investieren, den Dialog suchen, den Rechtsstaat fördern, Unabhängigkeit der Justiz garantieren und Ideenwettbewerb zulassen.
ist der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen. Seit 1990 ist er Abgeordeneter der CDU. Er gilt als offener Kritiker von Präsident Wladimir Putin.
Was kann man mit einem solchen Modernisierungspartner Russland anfangen?
Staat, Bürger und Wirtschaft stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Wir müssen der russischen Führung ohne Schaum vorm Mund klar vermitteln: Sie schadet den eigenen Ansprüchen mit dem Klima, das sie unter kreativen Bürgern verbreitet. Die Menschen wollen keinen Umsturz, sie wollen das Land voranbringen.
Die Elite verlässt das Land…
Ja, gerade die Eliten emigrieren, die das Land braucht, sie haben resigniert. Die Besten sehen für sich keine Chance mehr in diesem Land. Ein fataler Trend, der aufgehalten werden muss.
Sie wurden von russischer Seite scharf angegriffen, wie stand es um die Solidarität in Deutschland?
Russland-Anträge kamen auch von den Grünen und der SPD im Bundestag mit eindeutigem Tenor: Russland schadet sich selbst. Mit der Abstimmung über die Reihen der Koalition hinaus haben wir ein klares Meinungsbild erhalten.
Wie reagierte die russische Zivilgesellschaft?
Mir scheint, sie ist dankbar, dass eine russische Debatte wahrgenommen wird und international Widerhall findet.
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