Menschen im Weltraum: Da oben reden sie noch
Die bemenschte Raumfahrt: Eine Umweltkatastrophe, die abgeschafft gehört? Oder ein Labor für echte internationale Zusammenarbeit?
![](https://taz.de/picture/6126052/14/32248486-1.jpeg)
Die Raumfahrt zeigt sowohl menschliche Stärken als auch Schwächen, bringt sie wie in einem Brennglas zum Vorschein. Manchmal auf fast komische Weise: Im September 2022, während Russland in der Ukraine Krieg führt und sich die Nato geschlossen hinter der Verteidigung aufbaut, starten vom Weltraumbahnhof Baikonur in der kasachischen Steppe zwei Russen und ein US-Amerikaner zur internationalen Raumstation ISS.
Ihr Raumschiff ist russisch und heißt Sojus MS-22, was Vereinigung bedeutet oder Union. Wie in Sowjetunion. In 400 Kilometer Höhe dockt die Sojus an der ISS an. Sie ist beschädigt; Kühlflüssigkeit tritt aus. Für einen Rückflug ist sie nicht mehr geeignet. Anfang des Jahres 2023 gibt die russische Weltraumbehörde bekannt: Die Aufenthaltsdauer der Besatzung verlängert sich um ein halbes Jahr.
Das Team steckt bis September 2023 in der Raumstation fest. Vor wenigen Tagen dockte nun nach 33 Erdumrundungen eine unbemannte Kapsel an der Raumstation an. Sie soll, leicht umgebaut, das Rettungsschiff werden. Aber bis es so weit ist, haben die Astronauten noch viel Zeit, sich die Welt von oben anzuschauen.
Die Erde als Ganze sehen. Wörtlich genommen war das für Menschen lange undenkbar. Die letzte Grenze für die Menschen: das All. Dann kam die Raumfahrt.
Menschen sind Erfinder. Die Fähigkeit des Menschen, Neues oder sogar Unvorhergesehenes zu erschaffen, nennt die Philosophin Hannah Arendt „Natalität“. Darin liegt Kraft für die Zukunft wie auch der Ursprung von Katastrophen: Menschen tüfteln, bauen, investieren in Technik, die uns reich macht, die uns ganz wörtlich fliegen lässt. Zunächst nur ein paar Meter über der Erde und bald bis zum Mars. Gleichzeitig schaffen wir es nicht, sorgsam mit unserem Zuhause umzugehen. Wir produzieren Schrott und emittieren Abgase, vergiften uns selbst.
Der Blick aus einem Fenster der internationalen Raumstation könne helfen, die Dimension zu begreifen, findet der Soziologieprofessor Stefan Selke. Er hat Luft- und Raumfahrt studiert und das Buch „Wunschland“ geschrieben. „Aus der Perspektive aus dem All gibt es keine Grenzen, es gibt nur diesen einen blauen Planeten.“ Im Weltraum würden die Menschen zusammen an den Problemen arbeiten.
Mit planetarem Bewusstsein zu besseren Entscheidungen?
Das All ist einer der wenigen Bereiche, in denen das auch für die USA und Russland gilt, jedoch ist unsicher, wie lange noch. Auch wegen der politischen Konflikte will die russische Weltraumbehörde sich abkapseln und plant eine eigene Raumstation. Doch mitten im Krieg beschloss Russland gerade, länger als bisher geplant auf der ISS zu bleiben.
Die Astronaut:innen bilden dort eine Wohngemeinschaft auf einer Fläche der Größe eines Hauses mit sechs Zimmern, weitgehend ohne Privatsphäre. Dort experimentieren sie, dort leben und schlafen sie. Sie erforschen Fragen wie: Welche Effekte hat Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper? Wir wirkt sich kosmische Strahlung aus?
Der US-Politiker Bill Nelson schlug vor, größere internationale Konferenzen mal von dort oben abzuhalten, um das „planetare Bewusstein“ zu stärken. Es habe einen positiven Effekt auf die Entscheidungsfindung.
Das kann allerdings angesichts des ökologischen Fußabdrucks von Weltraumreisen auch zynisch klingen. Aus Umweltsicht ist der Raumfahrt-Boom ein Desaster. Raketenstarts haben einen enormen Treibstoffbedarf, Partikel wie Ruß und Aluminiumoxid verbreiten sich in der Stratosphäre. Raketentreibstoff unterliegt kaum Vorschriften und ist zum Teil stark giftig.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Und je mehr nach oben wollen, Maschinen wie Menschen, desto stärker werden diese Probleme. 2.000 Satelliten hat Elon Musk bereits in die Umlaufbahn gebracht, 12.000 sollen es werden. Weltraumschrott überall.
Die Investition in Unternehmen der privaten Raumfahrt kann auch als eine Flucht nach oben wirken, ein Eskapismus für Superreiche. Während die Welt darum ringt, die Erderhitzung aufzuhalten, lieferten sich Firmenbosse wie Tesla-Chef Elon Musk und Amazon-Gründer Jeff Bezos ein ressourcenintensives Wettrennen um den Vorstoß ins Weltall. Is there a Planet B? Und wenn ja, für wen?
Der Soziologe Stefan Selke meint: „Nicht moderne Technologien sind die Mangelware des 21. Jahrhunderts, sondern Antworten auf Sinnfragen. Wer möchten wir sein? Was ist uns wichtig?“ Die internationale Raumstation sei eine Art Zukunftslabor. Ein gemeinsamer Zwischenschritt, um Utopien zu wagen.
Am Donnerstag hat nach einem gescheiterten Versuch eine weitere Rakete zur ISS abgehoben. Sie stammt von Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX und startete von Weltraumbahnhof Cape Canaveral im US-Staat Florida. Zwei US-Amerikaner sind an Bord, ein Astronaut aus den Emiraten und Andrej Fedjajew aus Russland. Alle in einem Boot.
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