Meme auf Social Media: Propaganda, auf die ich nicht hereinfalle
Ein neuer Meme-Trend kommt als Geste der Selbstbehauptung daher. Doch auch in konservativen und rechten Kreisen hat das Meme Karriere gemacht.

K ennen Sie das Meme „Propaganda, auf die ich nicht hereinfalle“? In meinem Feed taucht es inzwischen täglich auf. Als ich die Formulierung zum ersten Mal sah, musste ich direkt einen Screenshot machen – nicht wegen ihrer medienkritischen Schärfe, sondern wegen ihrer erstaunlichen Elastizität. Denn „Propaganda“ meint hier nicht russische Trollarmeen oder chinesische Desinformationskampagnen, sondern Labubus (bitte googeln), Matcha Latte oder Duzen.
Zunächst erschien mir das Meme als Trotzakt gegenüber den kaum mehr zählbaren digitalen Mikro-Trends: Hinterlegt mit Selfies werden Dinge aufgelistet, auf die man nicht hereinfällt, obwohl sie als unverzichtbar vermarktet werden. Eine Geste individueller Selbstbehauptung!
Nicht immer bezieht sich die Selbstbehauptung auf Konsumtrends, oft geht es auch um Konventionen. Dabei verrät das, was jeweils als „Propaganda“ empfunden wird, viel über die soziale Blase, in der sich die jeweilige Person bewegt. Wenn eine Reise-Influencerin etwa „I’m a Traveler not a Tourist“ in die Liste aufnimmt, oder eine Beauty-Influencerin „Botox als Prävention“, dann wird auch der eigenen Peergroup gegenüber Skepsis zum Ausdruck gebracht. Sie wollen sich aufgeklärt und urteilsfähig zeigen.
Doch was zunächst wie spielerische Konsumkritik wirkte, offenbart sich immer öfter als ideologische Positionierung. Bestes Beispiel dafür lieferte Bundesministerin Dorothee Bär, die auf Instagram ein Video postete, in dem sie barfuß über eine Wiese läuft und lächelnd ihr Handy checkt. Dazu der Text: „Propaganda I’m not falling for: 5am club, flache Schuhe, lowcarb, ‚weniger ist mehr‘, oatmilk, Duzen.“ Der ironische Lifestyle-Post entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine zwar subtile, aber auch dezidierte Abgrenzung von urbanen Milieus mit progressivem Selbstbild.
Sympton eines kulturellen Backlashs
Denn geht es wirklich nur um eine Vorliebe für High Heels und Kuhmilch? Oder verbirgt sich dahinter die Ablehnung von Communitys, die Geschlechterrollen hinterfragen und sich für nachhaltige Ernährung starkmachen? Der Punkt ist: Wenn flache Schuhe zur „Propaganda“ erklärt werden, dann zeigt sich darin nicht nur ein ästhetisches Urteil, sondern ein politischer Affekt. In der Logik des Memes verschwimmen Ironie, Meinung und ideologisches Statement – und das macht es so wirkmächtig.
Einige Ausprägungen des Memes lassen sich gar als Symptom eines fortschreitenden kulturellen Backlashs ansehen. Ein Beispiel gefällig? „Propaganda, auf die ich nicht mehr hereinfalle: Multikulti, Feminismus, es gibt mehr als zwei Geschlechter.“ Was einst als fortschrittliche Haltung galt, wird nun als moralischer Zwang gebrandmarkt; die Person selbst inszeniert sich dabei als geläutert.
Auch in rechten Kreisen hat das Meme Karriere gemacht, passt es doch perfekt zu deren Behauptung, die sogenannten „Mainstream-Medien“ stünden im Dienste einer politischen Agenda. Da tauchen dann Klassiker auf wie „Corona-Impfung“, „Klimakrise“ oder „ARD/ZDF“.
Das Meme ist somit Symptom einer Gegenwart, die so hochpolitisiert ist, dass selbst eine Aussage über Schuhe unter Ideologieverdacht steht. Paradoxerweise produziert der Versuch, sich gegen vermeintliche Manipulation zu immunisieren, neue Formen der Selbstmanipulation. Denn wer alles als Propaganda verdächtigt, macht sich blind für die Unterschiede zwischen Marketingtricks, politischer Beeinflussung und schlichten Meinungsäußerungen.
Hinzu kommt: Wer sagt, er falle nicht auf „die Propaganda“ herein, behauptet implizit: Ich stehe über den Dingen. Doch oft ist das Gegenteil der Fall. Die Reflexe sind vorgeprägt, die Haltungen bezogen. Das Meme enttarnt damit nicht nur mediale Narrative – sondern eine Gesellschaft, in der ideologische Sortierungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel geworden sind. Gleichzeitig verstärkt es durch seine Verbreitung die kritisierte Ideologisierung und Polarisierung. Vielleicht ist das der größte Trick von allen: uns glauben zu machen, wir seien immun gegen Tricks.
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