Meldestellen für Menschenfeindlichkeit: Neuer Höchststand an diskriminierenden Vorfällen
In der Bilanz der Berliner Register stehen antisemitische Vorfälle erstmals an erster Stelle. Auch rechtsextreme und rassistische Übergriffe nehmen zu.

Das gehe vor allem „auf verstärkte extrem rechte Aktivitäten sowie eine Zunahme antisemitischer Bedrohungen zurück“, erklärte Jana Adam, die Koordinatorin der Register. „Die extreme Rechte gewinnt Einfluss – durch eine wiedererstarkte rechte Jugendkultur, die Normalisierung rassistischer Rhetorik oder den Schulterschluss über antifeministische Ideologien.“
Die Berliner Register sind ein Projekt zur Dokumentation extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in den Berliner Bezirken. Seit 2016 sind in allen Berliner Bezirken Register eingerichtet. Die Berliner Register wollen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung vorgehen. Im Gegensatz zur Kriminalitätsstatistik der Polizei beziehen die Register auch Vorfälle in die Dokumentation ein, die keine Straftaten sind oder die nicht angezeigt wurden. Dazu gehören Gewalttaten, Beleidigungen und Bedrohungen, Brandstiftungen, Sachbeschädigungen, Veranstaltungen, Aufkleber, Sprühereien oder diskriminierende Sprüche.
Fast zwei Drittel der registrierten Delikte, 4.972, waren allerdings sogenannte Propagandavorfälle, dazu zählen Plakate, Sprühereien und Flyer. Die registrierten rassistischen Vorfälle haben von 1.459 auf 1.761 scheinbar nur leicht zugenommen, die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen. Laut Bericht nimmt die Stimmungsmache gegen Geflüchtete weiter zu, begleitet von einer Normalisierung rassistischer Vorurteile. Auch die Zahlen im Bereich der LGBTIQ*-Feindlichkeit sind erneut angestiegen. „Hass gegen queeres Leben bleibt weiterhin ein zentrales Element und Bindeglied rechter und antifeministischer Mobilisierung“, sagt Adam.
Starker Anstieg bei extremen Rechten
Den stärksten Anstieg verzeichnen die Register mit 1.296 Vorfällen bei den Aktivitäten der extremen Rechten gegen politische Gegner*innen. In den Ostberliner Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Pankow und Treptow-Köpenick stiegen die extrem rechten Propagandafälle um mehrere Hundert an. Besonders rechtsextreme Gruppen wie Der III. Weg versuchten, Nachwuchs zu rekrutieren. Die Gefahr sei, dass erfahrene Neonazikader hier auf gewaltbereite Jugendliche treffen. „Eine Jugendkultur entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern ist in ein gesellschaftliches Gefüge eingebettet“, sagt Adam. „Aber wir haben noch keine Verhältnisse wie in den 90er Jahren.“ Positiv sei, dass die Zivilgesellschaft mehr hinschaue als früher.
Mit 2.200 als antisemitisch gemeldeten Vorfällen (28 Prozent) hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr (2023: 1.113) fast verdoppelt. „Erstmals war Antisemitismus 2024 mit 2.200 Vorfällen das häufigste Motiv der durch die Berliner Register erfassten Vorfälle“, heißt es in dem Bericht. „Besonders in den Innenstadtbezirken war Antisemitismus im Stadtbild allgegenwärtig, so haben sich in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg die Vorfälle verdoppelt.“
Das wirft die Frage auf, was die Berliner Register als antisemitisch werten. „Seit dem 7. Oktober 2023 gab es mehr antisemitische Demonstrationen“, heißt es etwa aus Charlottenburg-Wilmersdorf. „Auch Kritik an der Politik Israels muss möglich sein“, erklärt hingegen Jana Adam gegenüber der taz. „Das Gleiche gilt auch für Demonstrationen, die sich gegen das Unrecht an Palästinenser*innen stark machen. Wir dokumentieren das nur dann, wenn explizit Aussagen fallen, die unter unsere Antisemitismusdefinition fallen.“ Dafür verwenden die Meldestellen die IHRA-Definition. Am 2. April 2025 etwa wurde ein Aufkleber mit der Aufschrift „No Pride in Israeli Apartheid“ als antisemitisch gemeldet.
Wachsendes Sicherheitsrisiko
„Rechtsextremismus ist nicht nur eine Gefahr für unsere Demokratie, sondern ein wachsendes Sicherheitsrisiko“, erklärte Ario Mirzaie von Bündnis90/Die Grünen. „Aus Worten werden immer häufiger Taten, auf die rechte Propagandaflut folgt rechte Gewalt“, kommentiert er. Wie schon im Vorjahr forderte er eine Gesamtstrategie gegen rechts.
Die Zahlen seien „nicht hinnehmbar“, finden auch Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer, die Landesvorsitzenden der Linken in Berlin. Sie fordern zudem eine langfristige Finanzierung der Registerstellen, da sie „Alltagsrassismus, strukturelle Diskriminierung und das ganze Ausmaß von Hasskriminalität sichtbar“ machten.
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