Mehr als nur Farbenspiele: „Es ist eine riskante Strategie“

Wird's rot-grün-rot? Vor der Bürgerschaftswahl tun sich die Parteien mit Bündnis-Signalen schwer. Wahlforscher Eric Linhart erklärt, woran das liegen kann

hellrote, dunkelrote und grüne Chilischoten liegen auf einem Haufen

Vorsicht, nicht den Mund verbrennen: Rot-grün-rot ist eine scharfe Mischung

taz: Herr Linhart, wie wirken Koalitionssignale?

Eric Linhart: Sehr unterschiedlich. Es gibt ja auch völlig gegensätzliche Signaltypen: Schon wenn Sie sich die basale Unterscheidung zwischen positiven und negativen Signalen anschauen, werden Sie feststellen, dass diese auch unterschiedlichen Einfluss haben können.

Und zwar?

Stark positive Signale zum Beispiel können ein Mobilisierungs-Element haben, wenn Sie etwa an den Machtwechsel von 1998 denken. Da lag eine Wechselstimmung in der Luft, und SPD und Grüne haben beide deutlich gemacht, dass sie nach der Wahl eine Alternative bilden wollen zur bestehenden Koalition. Das stark positive Signal hat damals, glaube ich, auch einen Teil dazu beigetragen, dass der Wechsel stattfand.

43, Politologe, Professur an der Technischen Uni Chemnitz, wo er seit 2015 den Lehrstuhl für politische Systeme bekleidet, zuvor lehrte er in Göttingen und Kiel. Seit über einem Jahrzehnt forscht er zu Koalitionstheorien, seine Habilitation über „Koalitionsbildung in Deutschland“ (2015) gilt als wegweisend.

Sie glauben das nur …?

Das Problem ist: Wir reden da über kontrafaktische Situationen, das macht es schwierig. Aber hätte die SPD damals vermittelt: ‚Sicher, wir würden gerne mal wieder den Kanzler stellen, aber mit den Grünen…? Ach ich weiß nicht so recht‘, oder hätten umgekehrt die Grünen gesagt: ‚In der Opposition können wir uns auch weiter gut arrangieren‘, dann hätten sie diese Wechselstimmung womöglich nicht hinbekommen. Negative Signale hingegen können Parteien nutzen, um sich von den Rändern des politischen Spek­trums abzugrenzen. Das richtet sich an Wähler, die von so einer Koalition abgeschreckt würden. Die will man nicht verlieren.

Eine der Studien, an denen Sie mitgewirkt haben, legt nahe, dass die Wahlbeteiligung infolge von Koalitionsaussagen steigt …

Das war eine experimentelle Studie. Wir hatten die Probanden gefragt: Nehmen Sie an, Parteien würden dieses Signal setzen – wie würde sich Ihr Wahlverhalten ändern? Und tatsächlich haben wir dort eher eine Mobilisierung festgestellt. Es gab ein paar, die in der Folge aufs Wählen verzichtet hätten, aber auch eine Gruppe, die zuvor angaben, nicht wählen zu wollen – und sich dann durch dieses Signal mobilisieren ließen.

Das waren mehr.

Ja, bei uns waren die Netto-Effekte in der Tat positiv. Insgesamt hatten wir eher eine Mobilisierung beobachtet.

Aber das lässt sich nicht verallgemeinern?

Das Problem bei solchen Studien ist: Die Probanden reagieren in der Regel spontan. Und da kann es passieren, dass jemand beispielsweise bei lagerübergreifenden Konstellationen sagt: ‚Klar, wenn die zwei …, ja, das würde ich auch unterstützen.‘ Wer mehr Zeit zum Nachdenken hat, reagiert vielleicht anders. Außerdem reden wir auch hier wieder über kontrafaktische Situationen. Auch hängt es vom konkreten Signal ab. Zu sagen: Mehr Koalitionssignale steigern die Wahlbeteiligung – das halte ich in dieser Absolutheit für falsch. Nur mal als Gedankenexperiment: Wenn die CDU und die FDP sagen würden, wir wollen mit der AfD ein Bündnis eingehen, würden sie damit viele ihrer Wähler abschrecken, die die AfD nicht an der Regierung sehen möchten. Eine Mitte-Links-Partei möchten diese Bürger aber vielleicht auch nicht wählen. Da würde ich eine Demobilisierung erwarten.

Rot.Rot.Grün – dasTriell: Im taz-Salon treffen die Fraktionsvorsitzenden Kristina Vogt (Linke), Maike Schaefer (Grüne) und Björn Tschöpe (SPD) aufeinander, 19 Uhr, Kulturzentrum Lagerhaus, Schildstr.12

Immerhin wissen die WählerInnen dadurch aber, woran sie sind, oder?

Ja, für WählerInnen haben Koalitionsaussagen insgesamt einen Vorzug. Und das ist nicht ganz unwichtig. Denn, unser Mehrparteiensystem hat Vorteile gegenüber Zweiparteiensystemen, aber auch einen gewichtigen Nachteil: Es gibt keine klaren Regierungs-Alternativen. Ein Wähler weiß zwar, dass er eine bestimmte Partei stärkt, wenn er für sie stimmt, aber er weiß häufig nicht, wie es sich auf die Regierungsbildung auswirkt. Wenn er, um ein Beispiel zu nennen, Grün wählt, könnte es sein, dass er zu einer rot-rot-grünen oder schwarz-grünen Regierung beisteuert, oder aber mit seinem Votum die Opposition stärkt. Wenn Sie jetzt an einen linken Grünenwähler denken: Der stimmt wahrscheinlich gerne für Rot-Rot-Grün, aber ungern für Schwarz-Grün. In einer Welt ohne Koalitionssignale weiß dieser Wähler überhaupt nicht, was mit seiner Stimme passiert.

Das war früher anders.

Ja, da gab es klare Blöcke – und das war im Prinzip wie in einem Zweiparteiensystem. Der Verlust dieser klaren Blöcke dürfte bei dem ein oder anderen Wähler zu einer Verunsicherung geführt haben.

Stärkt diese Unsicherheit dann diejenigen, mit denen keiner zusammengehen will?

Mindestens haben die den Vorteil in so einer Gemengelage, dass sie relativ klar sagen: Sie gehen auf jeden Fall in die Opposition. Das ist dann zwar im Sinne der Übernahme von Regierungsverantwortung destruktiv. Aber es ist eine klare Aussage.

Parteien machen dagegen ungern Koalitionsaussagen, weil sie gar nicht wissen, wie sie wirken?

Gar nicht stimmt nicht. Aber es ist eine riskante Strategie. Wenn Parteien zum Beispiel starke und absolute Koalitionssignale formulieren, dann schränken sie sich ziemlich ein. Wenn diese Option dann angesichts des Wahlergebnisses nicht mehr zu realisieren ist – wie zum Beispiel bei der Hessen-Wahl 2008…

… die Ypsilanti-Wahl!

… dann kann das am Ende nur aufgelöst werden, indem eine der Parteien wortbrüchig wird, und das ist kontraproduktiv: Wenn Koalitionssignale nicht vertrauenswürdig sind, helfen sie keinem.

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