Mehr als Essen: Pommes sind mein Zuhause
Für unsere Autorin und ihre Familie sind Pommes die Stars auf dem Teller. Sie geben ein Heimatgefühl und spenden Trost, wenn nichts mehr geht.
![Illustration eines tätowierten Arms, die Hand hält eine Schale mit Pommes Frites Illustration eines tätowierten Arms, die Hand hält eine Schale mit Pommes Frites](https://taz.de/picture/7154915/14/Serie-Essen-1.jpeg)
„Redflag: Wer keine Pommes mag“ hätte ich in mein Datingprofil schreiben sollen. Seit Kurzem versuche ich neue Menschen kennenzulernen. Leider habe ich das vergessen und sitze jetzt im Park mit einem Fitness-Fanatiker, der sich weigert mit mir eine Portion Pommes zu teilen. Warum ich deshalb so beleidigt bin, kann ich ihm nicht erklären. Denn dann müsste ich über meine Familie sprechen, und das ist mir zu persönlich für ein erstes Date mit einem Frittenhasser.
An einem Weihnachtsabend, ich muss etwa 13 Jahre alt gewesen sein, überreichte meine Oma meinen Eltern feierlich eine Fritteuse in einem sperrigen Karton, den sie kaum umgreifen konnte. „Damit die Kinder mal wat Anständiges zu essen bekommen“, sagte sie.
Schon am Vortag hatten wir gemeinsam zwischen schweren Eichenmöbeln und auf weißer, gestickter Tischdecke Backofen-Pommes gegessen, serviert mit riesigen Tuben Mayo und Curryketchup und aufgespießt mit dem Silberbesteck, auf das mein Opa seit Jahrzehnten so gut aufpasst.
Auf das Geschenk folgten gute Jahre, in denen mein Vater, egal bei welchem Wetter, etwa alle sechs Wochen mit Pantoffeln und Unterhemd auf der Terrasse unserer Wohnung stand und Kartoffelstifte frittierte – mindestens zwei Ladungen pro Person. Dazu machte meine Mutter einen Gurkensalat mit Joghurtsoße – nur als Beilage, denn die Pommes waren definitiv die Stars auf dem Teller.
„Schon deine Ururgroßmutter hat einmal im Monat für uns Kinder Fritten gemacht, aus frischen Kartoffeln. So war das eben“, sagte meine Oma, als ich mich letztens mit ihr über Pommes unterhielt. Diese Erklärung erschien mir zunächst ausreichend: Tradition und Gewohnheit. Meine Großeltern hatten nie viel, und Kartoffeln konnte man günstig selbst anbauen. Auf die rheinländische, lebensfrohe Art wurde eben aus wenig „wat Leckeres“ gezaubert. So war das eben.
Pommes gegen Losgelöstheit
Mit meiner Pommesliebe bin ich nicht allein. In Deutschland lag der Pro-Kopf-Konsum von Kartoffelerzeugnissen wie Chips und Pommes im Jahr 2023 bei rund 40 Kilogramm – so viel wie seit 1990 nicht mehr. Gerade im Sommer feiern alle die Freibadpommes fast schon wie eine Ersatzreligion, jedes Jahr füllen Journalist*innen mit Liebesbekundungen an dieses Gericht die Zeitungsseiten.
Ich zweifle also daran, ob ich etwas Neues über Pommes beitragen kann. Weil ich aber das starke Gefühl habe, dass hinter dem Pommeskonsum in meiner Familie etwas anderes steckt, will ich aber trotzdem darüber schreiben. Während andere das salzige, fettige Gericht draußen, auf dem Jahrmarkt, im Freibad oder im Stadion wegmampfen, essen wir die Pommes meistens im Stillen, zu Hause.
Vielleicht, denke ich, sind die Pommes das, was es bei uns heimelig macht. Denn mit dem Zuhause und meiner Familie ist das so eine Sache. Der eine Teil kommt aus Westberlin, der andere aus dem Pott. Wegen der Arbeit und aus praktischen Gründen sind meine Eltern irgendwo dazwischen gelandet. Zufälligerweise war das Kassel.
Der Umzug brachte sozialen Aufstieg für beide, aber auch eine Losgerissenheit aus allem Bekannten mit sich. Was blieb, waren Erinnerungen an Konzerte zu Zeiten, als Berlin noch wild war, und den niederländischen Hang, fast alles zu frittieren.
Auch an uns Kinder wurde diese Losgelöstheit übertragen. Ich war lange stolz darauf, dass ich nicht wie einige meiner Klassenkamerad*innen „ein Blatt Papier“ wie „ein platt Babier“ aussprach und mich somit als Nordhessin zu erkennen gegeben hätte. Noch heute fehlen mir Worte, Kassel gut zu beschreiben und zu sagen, ob man hier gut oder schlecht leben kann. Es ist ein Ort, an dem ich eine Zeit lang lebte, bis ich eben eines Tages nicht mehr dort lebte.
Sie vereinen und versöhnen uns
Selbst in der Zwischenzeit war ich oft nicht da – als Kind verbrachte ich unzählige Stunden auf der Autobahn zwischen den verschiedenen Heimaten meiner Eltern, drei bis vier Stunden zähe Stunden pro Weg. Einziger Lichtblick: frisch gekochtes Essen bei meinen Großeltern und meist eine Süßigkeit vorab. Unzählige Male war die Ankunftsmahlzeit frisch frittierte Pommes.
Mein Opa etwa ist seiner Zeit weit voraus, er aß eigentlich kaum Fleisch. Das führte dazu, dass meine Oma meist zwei Gerichte kochte. Die Sache mit dem Fleisch wurde im Stammbaum weitergereicht, ein paar Empfindlichkeiten und Unverträglichkeiten kamen hinzu. Kein Fisch, keine Paprika, keine gekochten Karotten, keine Früchte, keine Linsen, kaum Gewürze, keine rote Beete, kein Kuchen.
Pommes vereinen und versöhnen uns, auch wenn gar nichts mehr geht. Ich erinnere mich, dass ich einmal bei einem so schlimmen Liebeskummer tagelang nichts herunterbekam. Als es Pommes und Gouda-Nuggets dazu gab, konnte ich plötzlich wieder essen, und alles war nur noch halb so schlimm.
Auch erbitterte Kämpfe, wie es sie nur innerhalb von Familien geben kann, fochten wir bei einer Portion Pommes aus. Vor allem in meiner Jugendzeit stritten wir oft und heftig – Zeit dafür blieb nach der Ganztagsschule nur noch beim Abendessen. Aber mit einer krossen, salzigen Pommes im Mund streitet es sich schon viel wohlwollender.
Curly Fries aus dem Ofen
Als ich nach der Schule in eine neue Stadt zog, nahm ich nicht viel mit. Meine Liebe zu Pommes allerdings blieb. Und ich fand schnell Gleichgesinnte. An vielen Abenden entschieden meine Freundinnen und ich schon auf dem Nachhauseweg vom Club, dass wir eine Portion der Curly Fries in den Ofen schieben würden.
Während wir darauf warteten, dass sie fertig wurden, saßen wir mit dröhnenden Ohren und halb geschlossenen Augen auf der Couch und sprachen über den vergangenen Abend. War das Blech leer und wir müde, war alles schon viel weniger aufwühlend und uns ging es gut.
Die Pommes-Dates haben in letzter Zeit abgenommen. For obvious reasons. Niemand muss mir erzählen, dass Pommes nicht gerade die gesündeste Mahlzeit sind. Oder dass die Kartoffelernten durch den Klimawandel schlechter und die Speise durch die Inflation immer teurer werden.
Ich habe ein schlechtes Gewissen und schiele gleichzeitig bei jedem Einkauf auf die Tiefkühlpommes. Ich sehne mich nach dem versöhnlichen Miteinander über einer Portion, gerade jetzt im Sommer. Mein nächstes Tattoo werden drei Pommes, auch wenn das vielleicht ein bisschen pathetisch ist. Ich füge endlich meine Red Flag in der Dating-App hinzu und schreibe meiner Oma dann eine Nachricht: „Können wir beim nächsten Mal Pommes essen, wenn wir uns sehen?“ „Na klar, heiß und fettig“, antwortet sie.
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