Mehr Zivilschutz nach dem Hochwasser: Die Lehren aus der Katastrophe
Bei der Flutkatastrophe vor einem Jahr versagte der Zivilschutz. Nancy Faeser verspricht einen „Neustart“, der BBK-Präsident warnt drastisch.
Neben Tiesler sitzen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Gerd Friedsam, der Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), das vor einem Jahr den größten Einsatz seiner Geschichte absolvierte. Das Trio präsentiert die Lehren, die Politik und Katastrophenhelfer aus der Flut gezogen haben. „Wir haben uns zu lange sicher gefühlt“, räumt Faeser ein. Nun müsse man „mit großer Kraft“ die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufarbeiten. „Wir brauchen einen Neustart im Bevölkerungsschutz.“ Auch Tiesler sieht diesen Schritt „überfällig“.
Tatsächlich versagten vor einem Jahr fast sämtliche Warnstrukturen: Frühe Hinweise auf die Flut wurden nicht an die Bevölkerung weitergegeben, ein flächendeckendes Warnsystem existierte nicht, Helfer:innen arbeiteten kaum koordiniert nebeneinander.
Bisher ist der Katastrophenschutz Ländersache, Faeser will nun mehr Kooperation zwischen allen Beteiligten und mehr Bündelung im Bund. Letzterem stehen die Länder und Kommunen bisher allerdings reserviert gegenüber. Faeser aber verweist auf die Dringlichkeit: Die Pandemie, Extremwetter, der Ukrainekrieg – Krisen würden zum Alltag. Bereits Mitte Juni hatte sie mit den Landesinnenminister:innen deshalb ein „Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz“ beschlossen, das bei Tieslers BBK angesiedelt ist. In Katastrophenfällen sollen sich die Länder dort künftig enger austauschen und Expert:innen Risikoszenarien erarbeiten. Das BBK selbst soll 146 neue Stellen bekommen. Und zum Jahresende sollen sich Bund und Länder in einer Konferenz zum Thema Zivilschutz zusammensetzen.
Notfallzeltstädte und Wiederaufbau von Sirenen
Zudem werde man mehrere Notfallzeltstädte für je bis zu 5.000 Menschen anschaffen, verspricht Faeser. Auch treibe man den bundesweiten Wiederaufbau von Sirenen voran, deren Abbau ein „großes Versäumnis“ gewesen sei. Investiert werde in den Cellbroadcast, mit dem Warnmeldungen auf Handys verschickt werden können, und in die Warnapp „Nina“, die ebenfalls Notfallmeldungen aussendet.
Außerdem sollen zwei Aktionstage auf den Ernstfall vorbereiten. Am 8. Dezember soll mit einem neuen Warntag die Kriseninfrastruktur getestet werden – und 2023 ein jährlicher Bevölkerungsschutztag eingeführt werden, bei dem ein Reagieren auf Katastrophen eingeübt werden soll. Für all die Maßnahmen sind im aktuellen Haushalt 300 Millionen Euro eingeplant. Die Innenminister:innen verlangen weit mehr: 10 Milliarden Euro sollen es in den kommenden zehn Jahren sein.
Zuvor hatte bereits das Ampelkabinett eine Resilienzstrategie verabschiedet, in der ebenfalls Krisenschutzmaßnahmen gebündelt werden. Von einem „historischen Dokument“ spricht BBK-Präsident Tiesler, da erstmals alle Ministerien bei dem Thema zusammengearbeitet hätten. Auch Tiesler betont am Mittwoch den Dauerkrisenmodus, der ein neues Krisenbewusstsein der Bevölkerung verlange – und stimmt darauf mit ungeschönten Worten ein.
So blickt er voraus auf einen „harten Winter“, mit möglichem Gasmangel und neuer Coronawelle. „Dafür sollten alle überlegen, was wir auch selbst zu Hause tun können.“ Tieslers Vorschläge: Notfallvorrat, Erste-Hilfe-Kasten, alternative Energiequellen. „Alles was uns autark macht, macht Deutschland sicherer.“ Und Tiesler warnt auch, dass künftig einige Landstriche hierzulande aufgrund des Klimawandels und der Unwetter nicht mehr besiedelbar sein werden. Die Bürger:innen müssten sich hier auf „schwierige Diskussionen“ einstellen. „Wir müssen lernen, dass es beim Katastrophenschutz keine Gewissenheit gibt.“
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