Mehr Suizidversuche unter Geflüchteten: Wenn die Hoffnung stirbt
Es gibt mehr Suizidversuche von Geflüchteten in Niedersachsen. Laut Flüchtlingsrat und Pro Asyl verzweifeln Geflüchtete zunehmend.
Er war erst 34 und erhängte sich im Wald. T. wollte seine Frau und die vier Kinder aus Eritrea nachholen, von wo er 2015 geflohen war. Doch seine Familie konnte ihr Heimatland nicht verlassen. Laut dem Nachruf des Flüchtlingsrates Niedersachsen war das auch der Grund für seinen Suizid. Und offenbar sehen auch andere Geflüchtete keinen anderen Ausweg: Die Zahl der Suizidversuche von Geflüchteten in Niedersachsen ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der FDP hervor.
Vollständige Statistiken, die der Anfrage entsprechen, gibt es nicht. Von den insgesamt 47 angefragten niedersächsischen Kommunen antworteten 30. 17 davon konnten keine Angaben machen, die 13 weiteren nannten die ihnen bekannten Fälle. Und die lassen einen klaren Trend erkennen: 2015 meldeten die Kommunen und die Landesaufnahmebehörde 23 Suizidversuche von Asylbegehrenden, 2016 waren es 54. In diesem Jahr wurden bereits 15 Suizidversuche gemeldet. Selbstmorde gab es den Meldungen nach im Jahr 2015 keine, 2016 in drei Fällen und in diesem Jahr bereits in zwei Fällen.
Im Jahr 2015 kamen zwar wesentlich mehr Geflüchtete in Niedersachsen an als 2016, doch die Zahlen der Asylanträge verhalten sich genau andersherum: 2016 wurden in Niedersachsen etwa 86.000 Anträge beschieden, 2015 waren es 38.000.
Bei Suiziden sei er etwas vorsichtig mit monokausalen Erklärungen, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Und doch stellt er fest: „Was wir wahrnehmen, ist, dass die Frustration und die Verzweiflung unter den Flüchtlingen wächst.“ Die Massenablehnung von Asylanträgen, insbesondere von Afghanen, trage dazu bei.
Etwa 31.000 neu ankommende Geflüchtete wurden im Jahr 2016 in Niedersachsen registriert, 2015 waren es 102.000.
Als Gründe für die Suizidversuche seien laut der Antwort auf die FDP-Anfrage am häufigsten „akute Psychosen, psychische Probleme, Depressionen, Tablettenmissbrauch und Drogensucht“ genannt worden, sofern Gründe bekannt waren.
Mit „Konfliktsituationen im Asylverfahren“ seien sieben Fälle begründet worden, mit „Keine Möglichkeit des Familiennachzugs“ und „Perspektivlosigkeit“ jeweils zwei.
Die Betroffenen, die Suizidversuche begingen, kamen aus 19 verschiedenen Ländern. 2016 war die Anzahl der Suizidversuche unter Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien am höchsten.
Und auch der unmögliche Familiennachzüge wie im Fall von T. aus Eritrea führen oft zu starker Verzweiflung. „Der Anteil der Flüchtlinge, die sich deswegen verzweifelt an uns wenden, ist dramatisch gestiegen“, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Im März 2016 hatte die große Koalition im Bundestag entschieden, den Familiennachzug für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus bis zum Frühjahr 2018 auszusetzen.
Kai Weber findet es gut, dass den Suizidfällen durch die Anfrage der FDP nachgegangen wird. Die vom Innenministerium veröffentlichten Zahlen zu interpretieren, sei jedoch schwierig. „Gemessen an der allgemeinen Suizidrate ist die Zahl der registrierten Suizide unter Flüchtlingen auf den ersten Blick nicht sehr auffällig“, sagt er.
Laut dem Landesamt für Statistik in Niedersachsen hatten sich im Jahr 2015 bei einer Bevölkerung von etwa 7,9 Millionen Einwohnern 1.013 Frauen und Männer das Leben genommen.
Für Kai Weber ist ein Aspekt besonders signifikant: „Flüchtlinge, die sich in Deutschland das Leben nehmen, sind in der Regel noch vergleichsweise jung.“ Die Antwort des Ministeriums vermittle nur einen sehr eingeschränkten Einblick. Mesovic von Pro Asyl weist auf die Traumata vieler Geflüchteter hin. Damit die Zahlen aus der Antwort auf die Anfrage aussagekräftiger würden, wäre es etwa interessant zu wissen, wie viele Geflüchtete in lokalen Psychiatrien seien.
Jan-Christoph Oetjen von der FDP-Fraktion im Landtag ist alarmiert. Dass die Anzahl der Suizidversuche von Geflüchteten nicht bekannt ist, sei erschreckend. Die FDP fordert eine Meldepflicht aller Fälle. Diese sei jedoch nur ein nötiger Baustein: „Die Menschen, die zu uns gekommen sind, befinden sich in der Obhut des Staates“, sagt er.
Insbesondere bei Fällen, in denen es um Perspektivlosigkeit gehe, sieht Oetjen die Politik in der Verantwortung. So müssten etwa mehr Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden und das Land müsse die Kommunen stärker unterstützen und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer nicht allein lassen. Das Innenministerium wollte sich inhaltlich nicht zum Ergebnis der FDP-Anfrage äußern. Ob es künftig stärker gegen die Perspektivlosigkeit Geflüchteter vorgehen will, bleibt also offen.
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