Mehr Geld für alleinstehende Geflüchtete: Ein Flüchtlingsheim ist keine WG
Bremen darf das Zusammenleben in einer Gemeinschaftsunterkunft nicht als Lebensgemeinschaft werten. So hatte der Senat Leistungskürzungen begründet.
Konkret geht es um Alleinstehende, die in Gemeinschaftsunterkünften leben. Nach einer Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes 2019 bekamen diese teilweise weniger Geld. Das lag daran, dass mit der Gesetzesänderung die Bedarfssätze zwar angehoben wurden, zugleich aber eine neue Bedarfsstufe eingeführt wurde. Sie galt für Geflüchtete, die in keiner eigenen Wohnung leben.
Anstelle des Regelbedarfssatzes eins erhielten sie den Regelbedarfssatz zwei – also zehn Prozent weniger Geld. Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften wurden damit finanziell mit Personen in Lebensgemeinschaften gleichgestellt – also mit Gruppen, die gemeinsam wirtschaften und sich Produkte für den alltäglichen Gebrauch teilen. Das hat das Bundesverfassungsgericht im November für unrechtmäßig erklärt.
Bereits 2021 hatte das Landessozialgericht Hessen entschieden, dass die Leistungskürzungen für Alleinstehende in Sammelunterkünften nicht nur verfassungs- sondern auch europarechtswidrig sind. Zuvor schon hatte das Sozialgericht Düsseldorf Verfassungsbeschwerde erhoben. Eine Ablehnung der Bedarfszuordnung auf Landesebene lag also im Bereich des Möglichen.
Flüchtlingsrat spricht von Realiltätsferne
In Bremen beschreibt der Flüchtlingsrat in einer Stellungnahme zum bundesweiten Verfahren im Februar 2022 detailreich die Haltlosigkeit der Bedarfskürzungen. Die Einordnung sei realitätsfern; die Bremer Sammelunterkünfte seien in keiner Weise auf die Gründung von Haushalts- oder Lebensgemeinschaften ausgerichtet.
Vielmehr erschwere die Infrastruktur ein vertrauensvolles Zusammenleben. Der Rat verweist zudem darauf, dass die Betroffenen nicht über die Leistungskürzungen aufgeklärt worden seien. Eine Anfechtung sei damit bewusst erschwert worden.
Dass in Einzelfällen eine Auszahlung des Regelbedarfssatzes eins vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes möglich war, zeigt ein Verfahren gegen die Bremer Stadtgemeinde von Juli 2020. Dort wurde auf Ausführungen des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern verwiesen, in denen es heißt: „Auch dem Senat erscheint nicht nachvollziehbar, warum Fremde, ähnlich wie Paare gemeinsam wirtschaften sollten.“
Von den Änderungen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sind nach Angaben des Bremer Senats 900 Personen betroffen. Bei 300 Fällen stehe die Umstellung auf die Regelbedarfsstufe eins noch aus. Da die Änderungen vom Amt für Soziale Dienste manuell vorgenommen werden müssen, bitte man um Geduld.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker