piwik no script img

Mehr Angriffe auf FlüchtlingsunterkünfteDer Hass ist wieder da

Nach Jahren des Rückgangs steigen Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte wieder an. Die Linke fordert ein Paket für Schutzmaßnahmen.

In Greifswald versammelten sich am 27. 02. 2023 fünfhundert Bürger gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft Foto: Markus Scholz/dpa

Berlin taz | Es sollen tumultartige Szenen gewesen sein. Als Greifswalds Bürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) vor wenigen Tagen über eine geplante Geflüchtetenunterkunft in der Stadt informierte, versammelten sich rund 500 Protestierende vor dem Gebäude. Laut Polizei gingen diese Fassbinder direkt an, ebenso wie eine Kundgebung, die Solidarität mit den Geflüchteten einforderte. Die Beamten hätten „körperliche Gewalt“ und Schlagstöcke einsetzen müssen.

Die Unterbringung von Geflüchteten bleibt ein aufgeheiztes Thema. Auch in Sachsen kam es zuletzt wiederholt zu Protesten gegen Unterkünfte. Und auch Gewalt blieb nicht aus. Laut Bundesinnenministerium kam es im vergangenen Jahr zu 121 Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte – ein deutlicher Anstieg zum Vorjahr, als es 70 Angriffe waren. Es geht um Sachbeschädigungen, Schmierereien, Hausfriedensbrüche, aber auch um Brandanschläge wie zuletzt in Bautzen, Cuxhaven oder Groß Strömkendorf.

Erstmals seit 2015 steigen die Angriffe damit wieder an. Damals, als viele Geflüchtete aus Syrien nach Deutschland kamen, waren es gar 1.047 Attacken auf Unterkünfte. Danach sank die Zahl von Jahr zu Jahr.

Auch 18 verletzte Kinder Geflüchteter

Die Zahlen gehen aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Clara Bünger hervor, die der taz vorliegt. Die Behörden zählten 2022 zudem 1.248 Angriffe gegen Asyl­be­wer­be­r:in­nen außerhalb der Unterkünfte – ungefähr so viele wie im Vorjahr. Dabei wurden 189 Personen verletzt, darunter 18 Kinder.

Die Geflüchtetenzahl war zuletzt wieder gestiegen, wegen des Ukraine-Kriegs und weil Corona-Auflagen gelockert wurden, die zuvor Reisebewegungen erschwerten. 218.000 Erstanträge auf Asyl wurden 2022 in Deutschland gestellt, dazu kamen rund eine Millionen Geflüchtete aus der Ukraine.

„Sollte uns in Alarmbereitschaft versetzen“

Bünger sagte der taz, der Wiederanstieg der Angriffszahlen auf die Unterkünfte „sollte uns in große Alarmbereitschaft versetzen“. Die Linken-Abgeordnete machte dafür auch die rassistischen Proteste von Gruppen wie den „Freien Sachsen“ verantwortlich oder „rechte Stimmungsmache“ etwa von CDU-Chef Friedrich Merz, der von „Sozialtouristen“ und „kleinen Paschas“ sprach.

„Geflüchtete, die hier Sicherheit und Schutz suchen, werden in Angst und Schrecken versetzt“, sagte Bünger. Po­li­ti­ke­r:in­nen müssten aufhören, Migration immer wieder als Gefahr darzustellen – Asyl sei ein Menschenrecht. Bünger fordert auch ein Maßnahmenpaket zum Schutz vor Angriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Tja, da wird der Einfluss des CDU Vorsitzenden spürbar. Die "kleinen Pascahas" und die "ukrainischen Sozialtouristen" stellen ja die größte Gefahr für unsere Gesellschaft dar und nicht die großen Paschas oder Polit-Touristen...

  • Wir haben in 2022 obwohl mehr Geflüchtete als 2015 und 2016 zusammen aufgenommen wurden insgesamt weniger Angriffe als 2015. Das könnte doch auch als positive Entwicklung gelesen werden?



    Wir können bloß hoffen, dass die für dieses Jahr teilweise befürchtete Rezession ausbleibt. Solange die Wirtschaft wächst und wir Vollbeschäftigung haben, kriegen wir diese Herausforderung irgendwie gemeistert. Mir graut es nur vor einer Situation in der es der deutschen Mittelschicht wirklich mal ans Eingemachte geht. In so einer Situation gibt es in unserer Gesellschaft keinen Kitt mehr, der die Fliehkräfte zwischen den Partikularinteressen der verschiedensten Gruppen austariert. Dann hätten wir hier ein Hauen und Stechen und zuerst wären wie immer die Minderheiten dran.

  • Hass prägt die Gesellschaft!?



    Es spricht für Greifswald, dass es ebenfalls eine Demo zur Solidarität mit Flüchtlingen gab.



    So kenne ich Greifswald auch, als Studentenstadt mit linken und liberalen BewohnerInnen.



    Eine Stadt ist nicht zu verdammen, wenn es auch eine unschöne Demo gab, gibt es immer zwei Seiten der Medaille.



    Was den Hass betrifft, so gewinnt er Raum in unserer Gesellschaft.



    Die schlimmen Übergriffe in den 90 ern als Startpunkt gesetzt, hat sich im politischen Diskurs Vieles geändert.



    Die AFD hat in den Landesparlamenten und im Bundestag mit Provokationen, Wortwahl und Angriffen einen neuen, schlechten Ton eingeführt.



    In den sozialen Medien werden Menschen beschimpft und beleidigt. Politiker werden verbal und körperlich angegriffen.



    Kleine Nazis prügeln auf die, die schöner aussehen als sie selbst.



    Auch in der öffentlichen politischen Debatte scheint nicht mehr das Argument sondern die Lautstärke entscheidend zu sein: wer anderer Meinung ist, wird niedergeschrieen, beleidigt, ein Austausch von Meinungen ist der Rechthaberei zum Opfer gefallen.



    Die Gesellschaft entwickelt sich nicht zu Ihrem Vorteil.



    Respekt ist zu einem Fremdwort geworden.



    Leider macht diese Entwicklung auch vor der taz nicht halt. In den Leserbriefen spiegelt sich die Gesellschaft.



    Wenn das schon in der " aufgeklärten Gesellschaft" an der Tagesordnung ist, wen wundert dann noch die ein, zwei Schritte weiter, die den Hass eskalieren lassen?

  • Leider hat die Linke am Wochenende zumindest zum Teil mit genau diesen Leuten zusammen für Frieden demonstriert. So wird das nix und erst nimmt die so auch keiner. Mit Nazis demonstriert man nicht.

  • Der Hass war nie weg er wurde nur etwas weniger öffentlich ausgelebt.