„Megalopolis“ von Francis Ford Coppola: Gegen jede Regel verstoßen
Der Regisseur Francis Ford Coppola hat sich mit seinem Monumentalfilm „Megalopolis“ einen Herzenswunsch erfüllt. Im Kino heute ist er einzigartig.
„Time, stand still!“, ruft ein Mann, während er auf dem Sims des Chrysler Building steht, einem der ikonischsten Gebäude der ohnehin ikonischen Skyline von New York. Und so geschieht es: Die Zeit steht still. Ist das Gott oder doch nur ein Architekt, wenn auch ein so visionärer, dass er wie ein Künstler verehrt wird? In den Augen von Francis Ford Coppola, Autor und Regisseur von „Megalopolis“, ist das vermutlich dasselbe.
Und angesichts der Ambition und des Größenwahns dieses Films, an dem Coppola nach eigenen Aussagen seit Jahrzehnten gearbeitet hat, bevor er ihn nun endlich und vielleicht als Schlusspunkt einer großen Karriere realisieren konnte, darf man getrost davon ausgehen, dass Coppola mit dem Architekten auch eine Art Selbstporträt inszeniert hat.
Vielleicht ist es notwendig, bis in die 70er Jahre zurückzukehren, um sich „Megalopolis“ anzunähern. Trotz Zeitgenossen und Freunden wie Martin Scorsese oder Steven Spielberg dominierte kein anderer Autor und Regisseur dieses Jahrzehnt wie Francis Ford Coppola. Für Filme wie „Der Pate“, „The Conversation“ und „Apocalypse Now“ wurde Coppola mit zwei Goldenen Palmen und fünf Oscars ausgezeichnet und verdiente so viel Geld, dass er nicht nur ein Weingut in Kalifornien kaufte, sondern auch noch ein Produktionsstudio gründete.
Doch dann kamen die 80er, mit dem experimentellen Musical „Einer mit Herz“ riskierte Coppola alles – und ging pleite. Mit diversen erfolgreichen Auftragsarbeiten wie „Die Outsider“ oder „Dracula“ rettete er seine Karriere, hatte Ende der 90er Jahre aber genug von Hollywood. Ohne Kontrolle durch Studiobosse und Produzenten, die nur auf das Einspielergebnis achteten, wollte Coppola nun arbeiten und drehte in den nuller Jahren die beiden kleinen, kaum beachteten Filme „Youth Without Youth“ und „Tetro“, selbst finanziert, sehr persönlich und wie nun zu erkennen: Vorstudien zu „Megalopolis“.
„Megalopolis“. Regie: Francis Ford Coppola. Mit Adam Driver, Giancarlo Esposito u.a. USA 2024, 138 Min.
Nicht nur stilistisch, sondern vor allem inhaltlich, denn seit den frühen 80er Jahren zieht sich ein Thema wie ein roter Faden gerade durch Coppolas persönlichere Filme: die Zeit, ihr Vergehen, der unweigerliche Tod, der Wunsch, das Leben noch einmal zu leben, mit der Erfahrung des Älteren, vor allem aber die Frage, was man hinterlässt, was überdauert.
Fragen, die sich nun auch durch „Megalopolis“ ziehen, ein Film, der einerseits eine 120 Millionen Dollar teure Großproduktion ist, andererseits auch ein persönlicher Experimentalfilm, den Coppola komplett selbst finanzierte, mit Geld, das er durch den Verkauf seines Weinguts eingenommen hatte.
Exzesse und Korruption
Schauplatz ist „New Rome“, eine Metropole, die unzweideutig als New York zu erkennen ist. Hier lebt und arbeitet der visionäre Architekt Cesar Catilina (Adam Driver), der zwar die Zeit anhalten kann, aber wenig Hoffnung für seine Stadt hat, die wie alle Imperien dem Untergang geweiht zu sein scheint.
Exzesse und Korruption haben zu moralischem Verfall geführt, nur eines verspricht Rettung: Eine neue Stadt soll entstehen, gebaut aus dem futuristischen Mineral Megalo, eine Stadt, die von Schönheit und Ästhetik geprägt ist und durch ihre schiere visionäre Kraft die Menschen inspiriert. „Megalopolis“ soll sie heißen.
Doch Cesar hat einen Gegenspieler, den Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito), der andere Pläne für die Stadt hat, dessen Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) sich aber bald auf Cesars Seite schlägt.
Vorbild der US-amerikanischen Republik
Man müsste schon ein großer Kenner der römischen Geschichte sein, um in diesem Plot einen Verweis auf die sogenannte Catilinarische Verschwörung zu erkennen, ein missglückter Umsturzversuch, der sich im Jahre 63 vor unserer Zeit im alten Rom zutrug. Jenem Rom also, das seit 2.000 Jahren oft als Ideal herhalten muss, das dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation seinen Namen gab und in vielerlei Hinsicht auch als Vorbild der US-amerikanischen Republik diente, nicht zuletzt architektonisch.
Knapp dreieinhalb Jahre ist es her, dass eine Meute einen dieser heiligen Orte der amerikanischen Demokratie, das dem römischen Pantheon nachgeahmte Kapitol, stürmen wollte, ein Ereignis, das wie vieles andere in „Megalopolis“ mitschwingt.
Vor allem in Gestalt des Finanzhais Hamilton Crassus III (Jon Voight), der ebenso an Donald Trump und seine Exzesse erinnert wie sein Enkel Clodio (Shia LaBeouf), ein oberflächlicher Playboy, den es in die Politik zieht. Bei Wagenrennen und Orgien leben sie sich aus, den Sinn für Schönheit und Demokratie haben sie längst verloren. Rettung verspricht nur Cesar, der sensible Künstler, der immer noch seiner Frau Sunny Hope hinterhertrauert.
Ein visionärer Künstler
Auch hier liegt ein Bezug zu einer realen Person nahe, zu Coppolas langjähriger Ehefrau Eleanor, die trotz allem stets an seiner Seite blieb und kurz vor der Weltpremiere starb. Denn dass Coppola die Figur Cesar als Alter Ego intendiert hat, liegt auf der Hand: ein visionärer Künstler, der alles seiner Arbeit unterwirft und Werke schafft, die die Fähigkeit haben zu transzendieren. Wie gesagt: Bescheiden war Coppola noch nie.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Megalopolis“
Aber auch ikonoklastisch. Die beschriebene Handlung mag sich zwar durchaus nachvollziehbar anhören: Konventionell ist jedoch kein Moment des Films. Mitunter wirkt es gar so, als habe Coppola bewusst jede Regel eines gewöhnlichen Hollywoodfilms brechen wollen, Spannungsmomente, Plot Points, Wendepunkte gibt es nicht, stattdessen stehen lose Szenen nebeneinander, fließen ineinander, verbunden weniger durch eine klare Handlung als durch Ideen, Anspielungen und Bezüge.
Schon vor der Weltpremiere, quasi als Lektürehilfe, gab Coppola zu Protokoll, dass er sich unter anderen von diesen Autoren und Regisseuren inspirieren ließ: Shaw, Voltaire, Rousseau, Bentham, Mill, Dickens, Emerson, Thoreau, Fuller, Fournier, Morris, Carlyle, Ruskin, Butler, Wells, Euripides, Thomas More, Molière, Pirandello, Shakespeare, Beaumarchais, Swift, Kubrick, Murnau, Goethe, Plato, Aeschylus, Spinoza, Durrell, Ibsen, Abel Gance, Fellini, Visconti, Bergman, Bergson, Hesse, Hitchcock, Kurosawa, Cao Xueqin, Mizoguchi, Tolstoi, McCullough, Moses und die Propheten.
Ein aus der Zeit gefallener Film
So reich an Ideen und Bezügen wirkt „Megalopolis“ dann auch, dass eine einzige Sichtung nicht annähernd ausreicht, ihn zu entschlüsseln: Manches wirkt modern, anderes altmodisch, manches wie in den 80ern geschrieben, anderes wie eine Reaktion auf Entwicklungen der Gegenwart, manche Bilder begeistern, andere wirken wie billiges Digitalkino.
Ein schizophrener, aus der Zeit gefallener Film, der in Zeiten, in denen das US-amerikanische Mainstreamkino zunehmend konformistisch wirkt, in denen nicht mehr ambitionierte, visionäre Regisseure mit großen Budgets spielen und ihre Ideen umsetzen können, sondern nach Marketingüberlegungen besetzt und nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht wird, der den höchsten Gewinn verspricht, eigentlich nicht existieren dürfte.
Ob „Megalopolis“ die oder zumindest eine Zukunft des Kinos darstellt, das Medium für neue Formen öffnet, alte Zöpfe durchtrennt und neue Erzählweisen etabliert, dürfte zweifelhaft sein. Überkommene Regeln zu brechen ist zwar nicht zwangsläufig ein Wert an sich. Wie hier ein über 80-jähriger Regisseur, der schon alles erreicht hat, der niemandem etwas beweisen muss, sich noch einmal neu erfindet, trotz, aber auch wegen seines Narzissmus, nötigt jedoch Respekt ab. Die Zeit anhalten, das kann zwar auch Francis Ford Coppola nicht, aber seiner Legende hat er ein weiteres, vielleicht letztes Kapitel hinzugefügt.
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