Meeresspiegel steigt schneller an: Mehr Wasser als gedacht
Um jedes Wort rang der Weltklimarat 2007. Sein Bericht sollte zeigen, wie sich das Klima zukünftig wandelt. Jetzt berichten Forscher, dass einiges noch schlimmer wird.
POTSDAM/LONDON dpa | Der Meeresspiegel steigt einer Studie zufolge viel rascher als vorausgesagt. Er klettere derzeit um 60 Prozent schneller, als Wissenschaftler noch vor einigen Jahren berechnet hatten.
Das geht aus einer Studie hervor, die ein Forscherteam um Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in den „Environmental Research Letters“ des britischen Institute of Physics präsentiert. Satellitenmessungen haben demnach ergeben, dass der Meeresspiegel seit Beginn der 1990er Jahre durchschnittlich nicht um 2, sondern um 3,2 Millimeter pro Jahr stieg.
Der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC von 2007 geht noch von einem jährlichen Anstieg um höchstens 2 Millimeter aus. Viele politische Entscheidungen basierten auf den IPCC-Zahlen, merkt das Institut an. Ziel der Studie sei daher gewesen, die theoretischen Zukunftsprognosen von damals mit dem tatsächlich eingetretenen Anstieg zu vergleichen und zu aktualisieren. Den zuvor vom IPCC angenommenen Temperaturanstieg um 0,16 Grad pro Jahrzehnt bestätigen die aktuellen Messungen jedoch, heißt es in der Studie.
Um den tatsächlichen Anstieg des Meeresspiegels zu ermitteln, werteten die Wissenschaftler Messergebnisse von Satelliten aus. Mit Radarwellen ermittelten sie aus dem All den Abstand zur Wasseroberfläche an verschiedenen Stellen des Meeres. Daraus berechneten die Forscher einen Durchschnittswert. Diese Methode gilt derzeit als besonders genau.
Gletscher und Eisschilde schmelzen
Gründe für den Anstieg des Meeresspiegels sind die thermische Ausdehnung des Meerwassers und das Schmelzen von Gletschern und Eisschilden. Beides trägt nach Angaben von Rahmstorf in ähnlicher Größe dazu bei.
Warum sich die Prognose von 2007 so stark von den aktuellen Zahlen unterscheidet, sei nicht eindeutig zu ermitteln. Unwahrscheinlich ist nach Ansicht der Autoren, dass ein schwankender Eisverlust in Grönland oder der Antarktis oder kurzfristige Klimaschwankungen verantwortlich sind. Die Veränderung des Meeresspiegels hänge vielmehr eng mit der globalen Mitteltemperatur zusammen.
Der globale Temperaturverlauf ist nach Angaben von Rahmstorf relativ einfach zu berechnen, weil die Energiebilanz der Erde relativ gut verstanden sei. „Das gilt nicht für kompliziertere Dinge wie Eisschmelze und Meeresspiegel.“ Diese könne man nicht so zuverlässig vorhersagen, weil deren physikalische Grundlagen deutlich komplexer seien.
Auch das Meereis der Arktis schwindet nach weiteren Daten schneller, als vom Weltklimarat vorhergesagt. Da Eis unter der Wasseroberfläche genauso viel Wasser verdrängt, wie beim Schmelzen frei wird, hat dessen Abnahme keinen direkten Einfluss auf den Meeresspiegel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?