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Medienpsychologe Elson zu Kinder und TV„Eltern sind da etwas unentspannt“

In der Coronakrise verbringen Kinder mehr Zeit vor Bildschirmen, Ex­per­t:in­nen warnen schon. Aber ist das tatsächlich so gefährlich?

Malte Elson sagt: „Richtig eingesetzt kann jedes Medium eine Bereicherung sein.“ Foto: Jochen Tack/imago
Saskia Hödl
Interview von Saskia Hödl

taz: Herr Elson, viele Eltern müssen sich derzeit um Lohnarbeit und Familie gleichzeitig kümmern. Die Bildschirmzeit der Kinder hat sich Studien zufolge entsprechend erhöht, einige Ex­per­t:in­nen warnen vor langfristigen Folgen. Schade ich meinem dreijährigen Kind, wenn ich es täglich altersgerecht fernsehen lasse?

Malte Elson: Nein, es geht kein unmittelbarer Schaden vom Bildschirm aus. Natürlich ist es so, dass man zu viel fernsehen kann. Schaden klingt immer, als gäbe es eine unmittelbare Konsequenz, aber es geht viel mehr darum, dass Dinge, die wichtiger wären, vernachlässigt werden könnten.

In einer Broschüre des Bundesfamilienministeriums stehen dennoch sehr strikte Zahlen: Kinder zwischen 3 und 5 Jahren sollen nicht mehr als 30 Minuten pro Tag fernsehen, Kinder zwischen 6 und 9 Jahren nicht mehr als 45 und Kinder ab 10 Jahren nicht mehr als 60 Minuten. Was passiert mit dem kindlichen Hirn, wenn sie länger fernsehen?

Nichts. Studien zu Auswirkungen von Bildschirmen aufs Gehirn gibt es wenige, und die, die es gibt, weisen nicht darauf hin, dass da strukturelle Veränderungen entstehen. Es wäre auch verrückt anzunehmen, dass das Gehirn erst mal ein gesundes Organ ist und dann macht man irgendwas wie Fernsehen und dann ist es ungesund. Das Gehirn ist plastisch, es verändert sich ständig. Man könnte eher darüber nachdenken: hat das Auswirkungen darauf, wie gut das Kind Freundschaften pflegt, ob es sich genug bewegt?

Das hat wenig mit dem Bildschirm zu tun. Wer drei Stunden am Tag Bücher liest, der wird einen ähnlichen Effekt beobachten können. Diese Zeitangaben sollen Eltern eine grobe Idee geben, was angemessen ist, um die Aktivitäten möglichst divers zu halten. Aber es ist nicht so, als hätte das jemand systematisch untersucht. Es geht da mehr um kulturelle Wertvorstellungen.

Woher kommt die Ablehnung des Bildschirms und ist sie wissenschaftlich irgendwie nachvollziehbar?

Gesellschaftlich gesehen lehnen wir den Bildschirm ja gar nicht so sehr ab. Erwachsene haben mitunter ganz ordentliche Bildschirmzeiten. Es gilt als legitim, ein Smartphone zu haben, am Computer zu arbeiten, die „Tagesschau“ zu gucken und den Krimi danach. Von Kindern und Jugendlichen werden Bildschirme aber weitgehend zur Unterhaltung genutzt – und die hat gesellschaftlich einen relativ geringen Stellenwert, sofern man produktivere Alternativen hat. Es geht auch um die Optik: Kinder starren mit halboffenem Mund auf den Bildschirm, sie bekommen nichts mehr mit, man muss sie mehrmals ansprechen, bevor sie reagieren. Da können Leute schnell auf die Idee kommen, dass das nicht gut sein kann.

Ich saß als Kind so vor Büchern …

Bild: Marquard/RUB
Im Interview: Malte Elson

Jahrgang 1986, ist Medienpsychologe an der Ruhr-Universität Bochum, wo er als Junior-Professor das Labor für Mensch-Technik-Interaktion leitet. Er ist bei der Deutschen Gesellschaft für Psychologie Sprecher der Fachgruppe Medienpsychologie. Seine Diplomarbeit handelte von der Wirkung von Gewalt in Ego-Shooter-Spielen, und er promovierte über die Defizite der medienpsychologischen Aggressionsforschung.

Richtig, das war früher mit Büchern so, mit dem Radio auch, mit Comics. So ist das bei neuen Medien, ältere Generationen sind immer skeptischer gegenüber den Medien der Nachkommengeneration, weil sie damit selber weniger Erfahrung haben. Und natürlich weil sie als Eltern den Instinkt haben, bei ihren Kindern auf Gefahren zu achten, und dadurch sind sie da vielleicht einfach etwas unentspannt.

Wer im Internet dazu nach Informationen sucht, findet etwa einen Artikel vom Deutschen Grünen Kreuz: „Zahlreiche Studien bestätigen: Fernsehen macht Kinder dumm.“ Darin steht auch: „Wer als Kind viel fernsieht, erreicht als junger Erwachsener einen schlechteren Schulabschluss.“ Was halten Sie davon?

Ein typischer Fall von „Gut gemeint ist nicht gut gemacht“. Natürlich gibt es Studien, in denen wir Korrelationen finden zwischen Fernsehkonsum und Leistung in der Schule. Wir sehen vielleicht: Kinder, die fünf Stunden am Tag fernsehen, schneiden schlechter in der Schule ab. Klar, weil keine Zeit für anderes bleibt. Aber diese Vorstellung, dass jede extra Minute vor dem Bildschirm irgendwo einen Punkt Abzug bedeutet, dafür gibt es keine Evidenz. Schon gar nicht in dieser Kausalität.

Die Bildschirmzeiten sind asymmetrisch verteilt in der Gesellschaft. In finanziell schwächeren Schichten nutzen Kinder oft unüberwacht Bildschirme. Die sind aber auch aus anderen strukturellen Gründen benachteiligt – etwa bei der Unterstützung in der Schule. Man kann also nicht einfach sagen, dass diese Empfehlungen zu maximalen Bildschirmzeiten wissenschaftlich fundiert seien.

Aber weniger ist dennoch immer besser als mehr?

Kommt darauf an. In den Studien der vergangenen 15 Jahre sieht man eine interessante U-Verteilung. Sowohl bei Kindern, die ganz, ganz wenig fernsehen, wahrscheinlich weil sie nur wenig dürfen, als auch bei Kindern, die sehr viel fernsehen, gibt es Korrelationen zu anderen Faktoren des Lebens, die wir für wichtig halten: Schulleistungen, Schlaf, Pflege von Freundschaften. Bei dem großen Teil in der Mitte dagegen kann man keine großen Unterschiede feststellen. In den extremen Spitzen, also bei gar nicht und sehr viel fernsehen, kann man davon ausgehen, dass auch noch andere Dinge im Umfeld im Argen liegen. Das liegt auf der Hand, aber das ist wissenschaftlich gesehen sehr schwierig auseinanderzuhalten und zu messen.

Das heißt: Fernsehen an sich kann eine Bereicherung sein für Kinder?

Natürlich, richtig eingesetzt kann jedes Medium eine Bereicherung sein. Es werden ja auch schöne Geschichten erzählt im Fernsehen – und genauso, wie es gute Bücher gibt, aber auch totale Schrottbücher, ist es auch mit dem Fernsehen. Man muss sich von dieser Idee von diesem uniformen Bildschirmzeiteffekt verabschieden. Es kommt sehr darauf an, was man ansieht und was man daraus macht: Spricht man als Kind mit seinen Eltern oder Gleichaltrigen darüber, was man da gesehen hat? Das hat völlig andere Effekte, als alleine unüberwacht fernzusehen.

Nun können sich viele Eltern mit Fernseher und Smartphone anfreunden oder sogar identifizieren, aber die Spielkonsole ist dann der Streitpunkt. Ist die Skepsis hier berechtigt?

Nein. Ich wäre dem Fernseher gegenüber noch kritischer als der Spielkonsole. Die Konsole ist immerhin noch ein Spielzeug, man erkennt Parallelen zum physischen Spielzeug. Insgesamt geht von der Konsole keine magische Bedrohung aus, wenn altersgerechte Spiele gespielt werden. Und je mehr die Eltern daran teilnehmen, umso besser. Solange das Buffet an Spielzeug und Beschäftigung im Leben eines Kindes unterschiedlich genug ist, muss man keine Bedenken haben. Ein Problem besteht immer erst dann, wenn es nur noch das eine ist.

Gibt es denn den einen richtigen Weg, als Eltern die Mediennutzung mit seinen Kindern zu vereinbaren?

Es kann je nach familiärer Situation schwierig sein für Eltern, die Mediennutzungszeiten ihrer Kinder sinnvoll zu überwachen oder zu gestalten. Wenn man alleinerziehend ist und Vollzeit arbeiten muss, dann sind die Kinder eben irgendwann alleine zu Hause und diese Situation ist unlösbar. Kinder sind auch sehr unterschiedlich. Die Vorstellung, dass wir als vernünftige Erwachsene alle vernünftige Kinder haben, mit denen wir vernünftig über Mediennutzung sprechen, das stimmt vielleicht für einige, aber eben nicht für alle. Gut regulierte Mediennutzung hat auch nicht für alle Familien die höchste Priorität, da gibt es vielleicht andere Dinge, um die man sich zuerst kümmern muss. Deshalb ist es einerseits schwierig, generelle Empfehlungen umzusetzen, andererseits sollte man eben auch nicht überschätzen, welche Konsequenzen von Mediennutzung ausgehen in einem größeren sozioökonomischen Kontext.

Eltern können sich derzeit also getrost um alles andere zuerst Sorgen machen?

Ja, ich denke nicht, dass man sich ausgerechnet jetzt vorrangig über Bildschirmzeit und Mediennutzung Gedanken machen muss. Ich finde es auch eigenartig, wie das befeuert wird – sowohl von Politik als auch von der Wissenschaft. Klar, die Kinder sind mehr zu Hause, Freizeitangebote fallen weg. Aber ich sehe nicht, warum wir uns jetzt darum sorgen müssten, anstatt darum, ob Freundschaften noch gepflegt werden können oder was für nachhaltige Effekte die verpasste Schulzeit hat.

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7 Kommentare

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  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Brot und Spiele waren für den Pöbel immer wichtig, auf das er nicht weiter nachdenkt...

  • Puh, als ich auf den Artikel von Herrn Elson hier aufmerksam wurde, war ich extrem erstaunt über diese Berichterstattung.



    Als Medienpädagogin bin ich seit 1995 tätig und etwas länger bereits auch mit der Gehirnforschung vernetzt und ziehe sehr viel Wissen aus interdisziplinärem Schaffen über die Frage "Wie Lernen gelint!". Der Bereich "Frühkindliche Gehirnentwicklung" ist u.a. auch ein großer Bereich meines Schaffens und hier sind schon lange Erkenntnisse vorhanden, die uns aufzeigen allein aufgrund der Lichtfarbe und deren Frequenzen, dass dies in der Gehirnentwicklung und auch für das Erwachsenengehirn entsprechende Auswirkungen bis hin zu Veränderungen hat.

    Die Ego-Shooter, Ballerspiele und sämtliche Aggressions-geladenen Spiele kommen wie die Technik selbst aus dem militätrischen Bereich und dien(t)en der Herabsetzung der Schwelle, Aggression anzuwenden - hier liegt so viel Forschung vor zu Auswirkung über Computerspiele ...

    Und wie Herr Geilsheimer vorher schreibt - die affektiv-emotinal-soziale Sichtweise lässt Herr Elson komplett aus. Auch hier gitb es Studien undtausendfache Belege zu psychosozialen Störungen - bis hin, dass wir dies täglich selbst im Umfeld erleben, wenn wir alle die Sugen aufmachen udn unsere Kids und Teenies bis hin zu den Twens aufmerksam betrachten und beobachten.

    Digialisierung ist die Rettung und Möglichkeit - z.B. auch diese Pandemie - mit Bildung, Kontakten und auch Freizeitbeschäfigungen zu meistern. Doch der Blick auf die Entwicklung unserer Kinder fehtl mir in diesem Beitrag aus qualifizierter Sicht. Noch nie haben wir eine derartig hohe Quote von Auffälligkeiten bei unseren Kindern gehabt (ADS, ADHS, Dyskalkulie, LRS, Legasthenie, ... der Katalog ist noch lange) und bei genauem Hinsehen haben eine sehr hohe Quote dieser Kinder einen immensen Medienkomnsum, wenn die Eltern ehrlich sind oder genau hinsehen.

    Medien in der Kindheit ist anstrengend für Erziehende. Der Beitrag ist mir zu oberflächlich und führt in eine falsche Ric

    • @MSI:

      Noch nie haben wir eine derartig hohe Quote von Auffälligkeiten bei unseren Kindern gehabt (ADS, ADHS, Dyskalkulie, LRS, Legasthenie, ... der Katalog ist noch lange) und bei genauem Hinsehen haben eine sehr hohe Quote dieser Kinder einen immensen Medienkomnsum, wenn die Eltern ehrlich sind oder genau hinsehen."



      - und genau jetzt stellt sich die Frage: was ist Kausalität und was Korrelation, denn in unserer Gesellschaft liegt viel zu viel im Argen als das eine eindimensionale Sicht auch nur annähernd zu einer Lösung beitragen könnte

  • Ich bin der Auffassung, dass das, was Herr Elson hier kundgibt im Grundsatz durchaus zutreffend ist. Bildschirmzeit an und für sich ist nichts schlimmes oder bedenkliches.

    Allerdings bleibt meiner Meinung nach im vorliegenden Interview leider etwas sehr Wichtiges komplett unberücksichtig: Es gibt guten Grund zur Annahme, dass es durchaus einen (großen) Unterschied machen kann, was genau auf dem Bildschirm passiert während der Nutzung.

    So gibt es zum Beispiel viele Studien, die nahelegen, dass Social Media Nutzung zu höherer Unzufriedenheit, depressiver Stimmung, verringerter Aufmerksamkeit und dadurch verringtem Errinenrungsvermögen, etc. führen kann, insbesondere in weiblichen Personengruppen. Auch studenlanger Pornographiekonsum durch Minderjährige scheint im Lichte jüngster Studien durchaus bedenklich. Dagegen wird es wohl eher unbedenklich sein, wenn sich ein Minderjähriger mehrere Stunden mit Lerninhalten oder Ähnlichem abgibt.

    Diesem aus meiner Sicht sehr wichtigem Umstand wird hier leider keinerlei Gehalt beigemessen. In Zukunft würde ich mir wünschen, dass auch solche Aspekte vielleicht mit besprochen und bewertet werden.

  • Gerade jetzt in Corona-Zeiten sollten die Bildschirmzeiten bei Kindern etwas entspannter gesehen werden.



    Kita, Schule, Sportverein, Spielen mit Freund/innen, Lerngruppen uns AGs - alles zu.



    Oft sind auch die Leihbüchereien geschlossen, und die Eltern haben neben Homeoffice oder systemrelevanten Stressjobs keine Zeit oder Kraft, die Kids 24/7 zu bespaßen.



    Was sollen die Kinder denn sonst machen? An die Wand gucken und in der Nase bohren?

    Besser als die unreflektierte Verteufelung von "Bildschirmunterhaltung" wäre gezieltes Aussuchen von geeigneten Spielen, Filmen, Serien und darauf zu achten, dass Lernen, Hausaufgaben und Bewegung nicht zu kurz kommen.



    Als ich klein war, hieß es, ich soll nicht soviel lesen, das verdirbt die Augen, macht einen Buckel und ich würde als Leseratte mal keinen Mann kriegen. Alles Quatsch.

    Es gibt wunderbare Games, die auch für Kinder geeignet sind: Simulationsspiele, Rätselspiele, Bauspiele, Jump&Run, Wimmelbildspiele usw. Oder die im Coop mit den Eltern gespielt werden können, oder online mit Freund/innen (oder sogar mit der Oma, die nicht besucht werden darf, und die sich genauso langweilt).



    Ab etwa 12 Jahren könnten sich Kids auch selbst mit diversen RPG-Makern Spiele zusammenbasteln, das macht riesigen Spaß, ist kreativ und schult logisches Denken.

    Verunsicherte Eltern sollten einfach mal auf amazon oder im Steam-Shop stöbern und sich vielleicht noch ein Lets Play zu einem interessanten Spiel anschauen. Dann können sie auch ruhigen Gewissens entscheiden, was ihre Kinder spielen oder gucken.

    • @Schnetzelschwester:

      Man kann sich das anscheinend alles sehr schön reden. Wer allerdings mal genau hinschaut, sieht häufig mehr als deutlich, dass der Konsum an bspw.Computerspielen beständig steigt, immer weniger reale Sozialkontakte stattfinden, Schlafprobleme auftreten (beim "Zocken" verliert man halt schnell jegliches Zeitgefühl), immer mehr ADHS KInder unterwegs sind und wohl noch nie so viele Kinder psychoaktive Medikamente nehmen mussten. Menschliche Entwicklung ist abhängig von realen Erfahrungen, von eigenem Handeln. Selbstwirksamkeit erlangt man nicht in den Welten irgendeines Computerspiels. Und wer mal den ganzen Tag Zoomkonferenzen hatte, der weiß auch, dass es mitnichten das gleiche ist, wie sich gemeinsam um einen Tisch zu setzen.

      Zum eigentlichen Artikel möchte ich noch hinzufügen, dass es generell aufgrund der hohen Komplexität des menschlichen Seins immer schwierig ist, Kausalitäten zu beweisen. Allein die Tatsache, dass man es nicht kann, rechtfertigt aber nicht die Behauptung, dass es deshalb nicht existiert.