Medienlandschaft in Polen: Bedrohte Vielfalt
Nie war die Medienlandschaft in Polen diverser als heute. Doch mit dem geplanten Journalistengesetz der PiS-Partei könnte sich das ändern.
In Polen fürchten regierungskritische JournalistInnen um ihre Jobs. Denn die nationalkonservative Regierungspartei PiS schlägt in ihrem Programm für die Parlamentswahl vor, ihren Beruf zu regulieren. Sie will einen Selbstverwaltungsrat der Journalisten einberufen, der sich um die „ethischen und beruflichen Standards“ kümmert. An sich ist eine Selbstverwaltung keine schlechte Idee. Aber die vergangenen vier Jahre unter PiS haben die MedienmacherInnen misstrauisch gemacht.
Wie in Deutschland ist der Beruf der JournalistInnen in Polen nicht geschützt. Einheitliche Presseausweise gibt es nicht und auch kein nationales Register wie in Frankreich, Belgien und der Schweiz. Das neue Gesetz, heißt es im PiS-Programm für die Wahl am Sonntag, würde „Lösungen einführen, die denen in anderen Berufen mit öffentlicher Relevanz ähneln, etwa auf dem Feld der Anwälte oder Ärzte.“ Ziel sei ein Rat, der sich selbst reguliere und die Journalistenausbildung gestalte.
„Den Selbstverwaltungsrat könnte die Regierung gesetzlich einführen, aber ich halte das für eine schlechte Idee“, sagt Janusz Adamowski, Medienwissenschaftler an der Universität Warschau. „Journalisten haben sich zuletzt stark polarisiert, so ein Selbstverwaltungsrat würde den Hass nur vertiefen, weil er als politisierte Institution interpretiert würde.“ Schon jetzt teilen sich JournalistInnen in zwei Gewerkschaften auf: Regierungsnahe JournalistInnen treten dem Verband Polnischer Journalisten bei, regierungskritische der Journalistischen Gesellschaft.
Jolanta Hajdasz ist stellvertretende Vorsitzende des Verbands Polnischer Journalisten und leitet das Institut zur Beobachtung der Pressefreiheit. „Heute kann sich in unserem Land jeder, der publiziert, Journalist nennen, auch wenn er seine Informationen nicht verifiziert oder nur seine Meinung veröffentlicht“, sagt Hajdasz. Sie befürwortet deshalb den Vorschlag der Regierung. „Die Medienfreiheit wird nur dann bedroht, wenn Politiker entscheiden, wer den Beruf des Journalisten ausüben darf und wer nicht“, sagt sie, „Und das wird nicht passieren.“
Vereinnahmt durch die PiS
Regierungskritische ExpertInnen und JournalistInnen sind skeptisch. Zwar versicherte der stellvertretende Ministerpräsident Piotr Gliński, dass ein Selbstverwaltungsrat nur mit Zustimmung des gesamten Berufsfelds eingeführt würde. Doch PiS kündigt seit Jahren Änderungen des Medienmarkts an, die in erster Linie ihr selbst dienen. Parteichef Jarosław Kaczyński macht private Medien für die Niederlage seiner Regierungskoalition im Jahr 2007 verantwortlich. Als seine Partei 2015 die Parlamentswahl gewann, versprach er eine „Repolonisierung“ der Medien.
PiS stört, dass polnische Medien zu großen Teilen ausländischen Unternehmern gehören – auch, weil diese Medien eher linksliberal orientiert sind. Sie hat mit der Idee gespielt, Anteile ausländischer Investoren am Medienmarkt gesetzlich zu deckeln. Das würde zum Beispiel Polska Press einschränken, eine Gruppe der Verlagsgruppe Passau: Polska Press gibt 20 Regionalzeitungen heraus und betreibt Onlineportale. Eine Deckelung der Marktanteile würde die Freiheit des Kapitals verletzen, die innerhalb der EU gilt. PiS konkretisierte diese Pläne deshalb nicht.
Stattdessen stärkte sie in den vergangenen Jahren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und wandelte ihn in einen Werbekanal für die eigene Regierung um. „PiS hat die Öffentlich-Rechtlichen zu Staatsmedien gemacht“, kritisiert Medienwissenschaftler Adamowski. Mittlerweile stört die einseitige Berichterstattung sogar PiS-WählerInnen. Schon immer berichteten die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen regierungsnah, auch unter den linksliberalen Vorgängern. „Aber das Ausmaß war ein anderes“, sagt Adamowski, „Diese Medien sind gesetzlich dazu verpflichtet, ausgewogen zu berichten, aber sie erfüllen dieses Kriterium nicht mehr.“
Druck auf regierungskritische Medien steigt
Mit strukturellen Veränderungen machte PiS die öffentlich-rechtlichen Medien von sich abhängig. Bis Ende 2015 besetzte der Landesrundfunk- und Fernsehrat die Führungspositionen der öffentlich-rechtlichen Medien. Der Präsident und das Parlament wählten die Mitglieder dieses Rats. Im Dezember 2015 verabschiedete PiS ein neues Mediengesetz. Der Schatzminister, ein Regierungsmitglied, entscheidet seither, wer die Posten erhält. Seit Januar 2016 ist Jacek Kurski Chef des Senders TVP, ein Politiker, der mit PiS sympathisiert. Einige JournalistInnen haben den Sender seither verlassen, anderen wurde gekündigt.
PiS half auch finanziell nach. Im Jahr 2017 erhielt TVP vom Reprivatisierungsfonds, der für die Verstaatlichungen nach 1945 entschädigen soll, einen Kredit von umgerechnet 185 Millionen Euro. Ende 2017 veranlasste die Ministerpräsidentin Beata Szydło, dass weitere 227 Millionen Euro an die öffentlich-rechtlichen Medien flossen. Auch private, regierungsnahe Medien verfügen über mehr Geld als zuvor: Zwischen 2017 und 2018 stiegen die Einnahmen der regierungsnahen Gazeta Polska aus staatlicher Werbung um 124 Prozent, obwohl ihre Verkaufszahlen zur selben Zeit um 21 Prozent sanken.
Regierungskritische Medien geraten währenddessen in finanzielle Schwierigkeiten. „Agora und das linksliberale Wochenmagazin Polityka drohen auszutrocknen, weil die Anzahl staatlicher Werbeschaltungen, etwa aus Energiekonzernen, deutlich zurückgehen“, sagt Adamowski. Überleben könnten auf lange Sicht nur Medien, die starken Konzernen wie Axel Springer gehörten. „Aber Axel Springer ist keine karitative Organisation, sondern ein Unternehmen“, sagt Adamowski, „so ein Konzern wird keine defizitären Medien halten.“
Es stimmt schon: Nie zuvor war der polnische Medienmarkt so divers wie heute. „Ich denke, die vergangenen vier Jahre waren eine wirklich gute Zeit für den Journalismus und die Meinungsfreiheit in Polen“, sagt Jolanta Hajdasz deshalb. „Menschen mit konservativen Ansichten bekommen Jobs in der Medienbranche, vor 2015 war das sehr schwierig.“ RegierungskritikerInnen fürchten allerdings, dass der Pluralismus bald verschwinden kann. Vor allem dann, wenn PiS die nächste Regierung erneut allein bilden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind