Medienkunstfest Transmediale: Kunst ohne Gebrauchswert

Das Medienkunstfest Transmediale 2021 in Berlin setzt auf Entschleunigung. Stattfinden kann es aktuell coronabedingt nur im Livestream.

Auf einem Klappstuhl am Strand sitzt ein junger Mensch, Smartphone in der Hand, Laptaop auf den Knien.

In „Workation“ von Sofia Caesar fehlt der Laptop auch nicht am Strand, Videostill Foto: Andrea Capella

Die „Künstliche Dummheit“ ist ein Thema der deutsch-koreani­schen Künst­lerin Anne Duk Hee Jordan. Und schön dumm sehen die Maschinen in der Tat aus, die in ihrer Installation in der Ausstellung des Medienkunstfestivals Transmediale vor sich hin funktionieren. Ein nicht unbeträchtlicher technischer Aufwand wurde getrieben, damit diese Geräte genau gar nichts erreichen: Kleine Ballons blasen sich automatisch auf und schrumpeln wieder zusammen, eine andere Apparatur bewegt eine Holzleiste ohne erkennbaren Sinn. Betrachten kann man das Ganze auf einer Liege mit kontrahierender Luftmatratze.

„Wie Sisyphos“ seien diese Apparate, findet Kuratorin Lorena Juan. Und ein bisschen ist sie selbst auch wie die Figur aus der griechischen Mythologie, die immer wieder denselben Stein einen Berg hinaufrollen muss. Schließlich hat sie in den letzten Monaten viel Arbeit in eine Ausstellung investiert, die nun schön installiert im Kunstraum Kreuzberg und im Silent Green im Wedding zu sehen ist – und die aller Wahrscheinlichkeit nach kaum ein Besucher im physischen Raum zu sehen bekommt.

Richtig, da war doch was mit Ausstellungsbesuchen derzeit: Wegen Corona sind Museen und Kunstinstitutionen geschlossen – höchstwahrscheinlich länger als die Ausstellung der Transmediale gezeigt werden soll, nämlich bis Ende März, Verlängerung ausgeschlossen. Bis auf Weiteres sind darum nur „Proxy Visits“ (Ersatzbesuche) per Internet möglich. Täglich werden mehrere Onlineführungen angeboten, bei denen man per Livestream durch die beiden Ausstellung geführt wird.

Jede Tour für einen Gast

Selbst wenn bis zum 28. März täglich fünf Onlineführungen stattfinden, können so nur 380 „Besucher“ kommen – denn jede Tour ist nur für einen Gast gedacht. Das passt zum Festivalmotto „For Refusal“ und dazu, dass sich die Transmediale unter ihrer neuen Leiterin Nora O Murchú die Verweigerung wimmeliger Kulturbetriebsamkeit und künstlerischer Gschaftlhuberei und auf die Fahnen geschrieben hat und nun auf Nachhaltigkeit und Entschleunigung setzt.

Buchung von Onlineführungen und ein Online-Filmprogramm unter www.transmediale.de.

Statt einem konzentrierten Event im Februar mit Vorträgen, Performances, Filmvorführungen und Workshops im HKW wie bisher soll die Transmediale nun über das ganze Jahr verteilt in den neuen Räumen im Silent Green stattfinden, in denen zuvor der Kunstraum Savvy Contemporary war.

Den Ausstellungsteil, der sich in der Betonhalle des ehemaligen Krematoriums befindet, bekomme ich daher als Livestream zu sehen. Der lässt die Monumentalität des Orts freilich ebenso nur erahnen wie die Anmutung der Installationen. Anders als bei der Partnerveranstaltung CTM, die in diesem Jahr ein komplett vir­tuel­les Festival durchgezogen hat, setzte man bei der Transme­dia­le auf die Macht des Orts und die Aura physisch erfahrbarer Werke, als man sich im vergangenen Jahr noch Hoffnung machen konnte, dass eine Ausstellung im Februar möglich sein würde.

Doch schlechte Tonübertragung und wackelige Livebilder aus dunklen Ausstellungsräumen per Smartphone lassen leider keine echte Auseinandersetzung mit den gezeigten Werken zu. In der nächsten Woche soll es darum eine professionell gedrehte Videoführungen mit den Kuratorinnen auf der Website der Ausstellung geben.

Lockdown-Existenz vorweggenommen

Ganz anders ist das natürlich, wenn man als Pressevertreter den Ausstellungsteil im Kunstraum Kreuzberg dann doch vor Ort besuchen kann. Die Freude darüber, dass man überhaupt mal wieder einen Ausstellungsraum von innen sieht, wird noch gesteigert durch eine Ausstellungsgestaltung, die den physischen Raum durch geschickte gestalterische Eingriffe und kluge Lichtgestaltung veredelt.

Einige der gezeigten Arbeiten scheinen die Lockdown-Existenz künstlerisch zu thematisieren, selbst wenn sie vor der Pandemie entstanden sind. Die Installation „Workation“ von der Brasilianerin Sofia Caesar ist zwar von 2019. Aber sie zeigt das „neue Normal“, in dem wir alle langsam Platzangst bekommen: egal, wo man ist, man kann immer am Computer kleben und arbeiten – selbst am Strand, den man wegen Reisebeschränkungen freilich schon länger nicht mehr gesehen hat. Gezeigt werden die tragikomischen Videos auf genau den Geräten, mit denen wir ununterbrochen am Netz hängen: Smartphones, Laptops und Tabletcomputer.

In der Arbeit „Heavy View“ (2020) der Engländerin Laura Yuile werden antiquierte Monitore und andere Medienmaschinen langsam vom Fassadenputz von Vorstadthäusern zugewuchert wie gesunkene Schiffe, an denen sich Korallen und Muscheln festgesetzt haben. Auf einigen Monitoren sind noch Aufnahmen aus verwaisten Großraumbüros zu sehen wie Mementos aus einer lange untergegangenen Arbeitswelt. Von Danielle Brathwaite-Shirley kommt die einzige Arbeit, die man auch besichtigen kann, ohne die Ausstellung zu besuchen: das Textadventure „I Can’t Remember a Time I Didn’t Need You“, das die Erfahrungswelt einer schwarzen Transperson erfahrbar machen soll, kann man auch im Internet finden.

Mit Sturheit inszeniert

Wer sich über die mangelnde Unterstützung der Kulturszene in Deutschland während Corona beklagt, sollte zur Kenntnis nehmen, dass es hierzulande möglich ist, eine Ausstellung mit internationalen Künstlern und aufwendiger Medientechnik zu organisieren, die dem Publikum wohl dauerhaft verschlossen bleibt.

Das ist für sich genommen fast schon wieder ein Stück Kunst, die keinen Gebrauchswert und keine Nützlichkeit demonstrieren muss. Die Sturheit, mit der hier mit viel Liebe zum Detail eine Kunstpräsentation inszeniert wurde, die praktisch niemand physisch zu sehen bekommen wird, passt aber auch zu der Verweigerungshaltung gegenüber eingeübten Kunst­ritualen, die die „Refusal“-Transmediale vorschlägt.

Lorena Juan hat die Hoffnung allerdings noch nicht ganz aufgegeben: „Vielleicht können wir ja wenigstens in der letzten Woche öffnen. Dann machen wir hier einen Rave.“ Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen, hat Albert Camus geschrieben.

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