Medienexperte über Schlesinger-Affäre: „Der RBB ist keine Konservenfabrik“
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss nach dem Schlesinger-Fall Vertrauen zurückgewinnen, sagt Leonard Novy. Er fordert: alle Gremien reformieren.
taz: Herr Novy, Vetternwirtschaft, teure Dienstwagen, private Essenseinladungen auf Kosten des RBB, die Vorwürfe gegen Patricia Schlesinger sind massiv. Welchen Einfluss hat das auf die Wahrnehmung des RBB innerhalb der Bevölkerung?
Leonard Novy: Der Einfluss ist fatal. Da zeigt sich ein Sittenbild des Berliner Filzes, von dem man eigentlich glaubt, es gäbe ihn so gar nicht mehr. Das schadet dem Vertrauen in den Sender in der Stadt und in der Region. Es geht aber längst nicht mehr nur um Frau Schlesinger und die Frage ihrer juristischen oder moralischen Verfehlungen. Es geht mittlerweile um das ganze System der Öffentlich-Rechtlichen.
Durch den Skandal werden solche Populist*innen noch lauter, die fordern, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) und die als „Zwangsgebühren“ bezeichneten Rundfunkbeiträge abzuschaffen. In Frankreich wurde das eben erst gemacht. Ist der ÖRR in Deutschland in Gefahr?
Die Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Sender ist bedroht und der Schaden ist enorm, gerade vor dem Hintergrund politischer Vorstöße nicht nur seitens der AfD. Auch Teile der CDU und FDP stellen ja die Notwendigkeit öffentlich-rechtlicher Medien in ihrem aktuellen Umfang längst infrage. Hier wird nun auch ein politisches Spiel gespielt, das man nur vor dem Hintergrund der Debatte über die Höhe und Verwendung des Rundfunkbeitrags beziehungsweise der staatlichen Presseförderung verstehen kann. Es ist aber auch schlichtweg so, dass der Daseinszweck der Öffentlich-Rechtlichen sich heute nicht mehr so leicht vermitteln lässt wie im 20. Jahrhundert. Und das Vorhandensein ihrer Apparate ist kein Selbstzweck.
Weil wir als Publikum durch das diverse Medienangebot im Internet nicht mehr unbedingt das Gefühl haben, auf die Öffentlich-Rechtlichen angewiesen zu sein.
Für die Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen braucht es neben gutem Programm Kommunikation und Transparenz. An der Frage, ob Medienpolitik, Sender und Gremien die jetzt liefern, bemisst sich auch die Zukunftsfähigkeit dieses Systems.
Was ist denn die Berechtigung für den ÖRR?
Wir brauchen solidarisch finanzierten Journalismus, der sich am Gemeinwohl orientiert, der Bürgerinnen und Bürger eben nicht primär als Konsumenten adressiert, sondern als Bürgerinnen und Bürger. In Zeiten von sozialen Medien, Desinformation, Polarisierung und Kommerzialisierung brauchen Bürgerinnen und Bürger Orte der Information und Selbstverständigung. Wenn es die heute nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Aber dann würde man sie eben auch ganz anders bauen, inklusive der Gremien. Das ist das Problem, vor dem wir stehen.
Dafür braucht es auch Vertrauen in die Medien. Wie könnte der RBB sich das wieder erarbeiten?
Durch schnelle und radikal transparente Aufklärung.
Die Kolleg*innen des RBB machen das ja gerade. Sie recherchieren, stellen Vorgesetzten in Interviews bissige Fragen.
Die Redaktionen des RBB machen das journalistisch gut. Aber die Krisen-PR eines Medienhauses kann sich nicht darin erschöpfen, dass die eigenen Journalist:innen der Geschäftsleitung hinterherrecherchieren. „Diese Transparenz, die Sie uns versprechen, die gibt es einfach nicht“, hat die RBB-Moderatorin Sarah Oswald am Montag zum eigenen Programmdirektor gesagt. Es muss nun proaktiv, nachvollziehbar und kontinuierlich informiert werden. Wo ist die Überblicks-Website mit in Prüfung befindlichen Vorwürfen, bereits vorliegenden Ergebnissen und getroffenen Maßnahmen? Dort sollten nicht nur wie bislang einzelnen Beiträge hochgeladen werden, sondern der RBB als Institution muss sich dort den Vorwürfen stellen.
Die PR-Abteilung soll aktiv werden?
Das macht ja jeder Konzern, wenn er in einer Krise steckt. Manche besser, manche schlechter. Es ist jetzt auch Zeit, systematisch aufzuschlüsseln, worum es in den Vorwürfen geht und was dazu bereits herausgefunden wurde.
Journalist und Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. Er gehört zu den Initiator*innen der Initiative „Unsere Medien“, die sich seit 2021 für mehr Transparenz und nachhaltige Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzt.
Das wäre ja eigentlich die Aufgabe des Compliance-Verfahrens, dessen Ergebnisse aber erst für September oder Oktober erwartet werden. Braucht es dieses Verfahren noch, jetzt wo die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ermittelt?
Die braucht es absolut. Die Sache muss vom Haus institutionell, nicht journalistisch aufgeklärt werden.
Der RBB befindet sich hier aber in einem Zwiespalt und einige Personen besonders: Auf der einen Seite steht die Verpflichtung einer moralisch richtigen Aufklärung, auf der anderen aber auch der Wunsch, sich nicht in einem schlechten Licht darzustellen.
Ja, das ist klar. Aber es wird sich sicher auch noch personell einiges tun. Hinzu kommt: Der RBB ist keine Konservenfabrik, auch kein Ölkonzern. Nein, er ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt. Und als solche muss er die Sache aufarbeiten. Sich darauf zu berufen, dass irgendwann im September oder Oktober Antworten kommen, das würde man auch niemand anderem durchgehen lassen.
Was kann der RBB noch tun, um die Gefahr von Machtmissbrauch in Zukunft zu minimieren?
Es braucht da klare, transparentere Regelungen und eine effektivere Kontrolle, wenn es um die Verwendung von Rundfunkbeiträgen geht. Aus meiner Sicht müssen Aufsichts- und Kontrollgremien, also hier der Rundfunkrat und der Verwaltungsrat, dringend überprüft und optimiert werden. Und das gilt nicht nur für den RBB und nicht erst seit dem Skandal Schlesinger.
Hat der Verwaltungsrat nicht durch die Anschuldigungen gegen seinen damaligen Vorsitzenden Wolf-Dieter Wolf, gegen den nun auch die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt, bewiesen, dass er als Organ, das die Intendanz kontrollieren soll, nicht funktioniert?
Ja, das hat er. Aber es muss noch genau geprüft werden, was genau schiefgelaufen ist und wie viel davon an der Person liegt. Trotzdem zeigen sich die großen strukturellen Probleme dieser Gremien: Überforderung und mangelnde Kapazitäten dadurch, dass die Mitglieder ehrenamtlich arbeiten. Ein weiteres Problem ist das Selbstverständnis einzelner Akteure oder Organe. Sie verstehen sich teilweise als Teil des Hauses, teilweise als Vertreter einzelner Organisationen, für die sie im Rundfunkrat sind. Sie sollten aber Anwälte der Allgemeinheit sein. Sicherlich gibt es auch viele Leute, die mit großem Idealismus und Engagement im Gremium sind. Für die tut es mir besonders leid. Denn sie stehen vor diesen strukturellen Problemen – und vor riesigen, über die Jahre immer nur größer werdenden Aufgaben.
Wie müssten die Gremien reformiert werden?
Es braucht eine grundlegende Reform mit Blick auf die Effektivität, mehr Ressourcen und mehr Unabhängigkeit. Dazu gehört auch eine Legitimität der Besetzung: Wer sitzt in so einem Gremium? Und wie lange? Ist das Konzept, Akteure von „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ im Gremium einzusetzen noch sinnvoll? Oder sollte man nicht über Losverfahren Personen aus dem Publikum stärker einbinden? Diese Gremien haben eine enorme Bedeutung.
Sie können ein Impuls sein für mehr Dialog mit der Gesellschaft, aber dafür müssen sie transparenter werden. Die Menschen müssen erfahren, wofür die Gremien da sind. Vielleicht sollten sich die Gremienmitglieder der unterschiedlichen Anstalten mal über die Grenzen der sie entsendenden Organisationen hinweg auf einer Konferenz treffen und darüber verständigen, welche Rolle sie wahrzunehmen gedenken und welcher Mittel es dafür bedarf.
Zurück zu den Vorwürfen gegen Schlesinger: teurer Dienstwagen, hohe Boni, Abendessen zu Hause und schicke Innenausstattung im Büro. Würden Sie das als unmoralisch bezeichnen?
Ja. Es mag legal sein, aber auf jeden Fall ist es nicht legitim. Wer sich so was wünscht, sollte es vielleicht doch eher in der Privatwirtschaft probieren
Bald wird es dann auch ein*e neue*n Intendant*in geben, die all das wieder gutmachen muss. Was sollte diese Person mitbringen?
Ich kann nur erahnen, wie es innerhalb des Hauses gerade zugeht, aber die Person braucht Integrationsfähigkeit nach innen. Sie muss Vertrauen herstellen, wirklich zuzuhören. Zudem braucht sie aber auch eine Vision für den RBB und strategische Know-how, diese umzusetzen. Es gibt wohl Überlegungen, der Belegschaft eine größere Mitsprache zu geben bei der Auswahl solcher Personalien. Die Gremien dürfen dabei nicht komplett außen vor gelassen werden, aber ich finde das einen spannenden Reformansatz. Damit – nicht mit der Einführung maßloser, an die Umsetzung von Sparzielen beim journalistischen Fußvolk geknüpfter Boni für das Spitzenpersonal – würde der RBB dann mal wieder ein positives Signal aussenden. In die ARD hinein, aber auch in die Gesellschaft. Hier ist die Medienpolitik gefragt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren