Medien in Russland: Politisches Crowdfunding
Das kremlkritische Magazin „The New Times“ musste eine Geldstrafe zahlen – die höchste je gegen Russlands Presse verhängte. Leser halfen aus.
Den Strafzettel erhielt die The New Times Ende Oktober. Mehr als 22 Millionen Rubel (umgerechnet 300.000 Euro) sollten sie zahlen. Die persönliche Strafe für die Chefredakteurin belief sich zusätzlich auf 30.000 Rubel (400 Euro). Es ist der höchste Zahlungsbefehl, der jemals über ein russisches Medium verhängt wurde. In der Medienbranche wird es als „Liquidationsstrafe“ bezeichnet. Das Crowdfunding lief erfolgreich, in vier Tagen kamen über 25 Millionen Rubel zusammen. „Mehr als 20.000 Sponsoren ließen sich nicht lumpen“, sagt die 60-jährige Albaz. Menschen von Kaliningrad bis Wladiwostok im Fernen Osten nahmen an der Aktion teil, sie überwiesen 50 oder auch 100 Rubel. „Mehr können wir nicht, aber haltet durch!“, schrieben sie.
Der Anlass: Die Redaktion hatte im Sommer versäumt, einige Unterlagen bei der Roskommnadsor, der russischen Aufsichtsbehörde für Kommunikation, einzureichen. Die üblichen Anträge, Steuern und Auskünfte waren gestellt, bezahlt und erteilt worden. Doch ein Sponsor der New Times galt als „ausländischer Agent“. Dazu hätten noch Unterlagen eingereicht werden müssen, obwohl die Gelder des „Fonds der freien Presse“ mittlerweile aus Russland stammen.
Zunächst interessierte sich niemand dafür. Bis Jewgenija Albaz im halbwegs unabhängigen Radiosender Echo Moskau den oppositionellen Herausforderer des Präsidenten interviewte. Alexei Nawalny hatte gerade eine zweimonatige Haft absolviert. Daraufhin wurden innerhalb eines Tages zwei Instanzen aktiviert, die den Zahlungsbefehl juristisch absegneten.
Der Druck von oben
The New Times ist eine Fortführung der Nowoe Wremja, die schon in der Sowjetunion aus dem Ausland berichtete. Vor elf Jahren wurde die Zeitschrift dann als The New Times neu gegründet. Mit investigativen Stücken machte das neue Journal auf sich aufmerksam. Es berichtete über „Schwarze Kassen des Kreml“, fand „Schlägertrupps“, die in hohem Auftrag gegen Demonstranten arbeiteten, und nahm Vermögensverhältnisse im Umfeld Wladimir Putins unter die Lupe. Aufgrund ihrer Berichterstattung wurden erst die Anzeigenkunden des Magazins unter Druck gesetzt, dann folgten Vertrieb und Einzelhandel. Seit 2017 kommt die Zeitung nur noch als Online-Ausgabe heraus.
Albaz deutete an, dass die Auftraggeber hinter der Strafe „von oben“ stammen würden, das hätten die Juristen durchblicken lassen. Es ist nicht der erste Fall, in dem Leser mit Crowdfunding in Russland aushelfen. Der Internetdienst „7x7“ in Syktywkar und Transparency Russia waren auch schon zu hohen Bußgeldern verurteilt worden.
Chefredakteurin Albaz sieht in der Unterstützung ein Zeichen dafür, dass die Zivilgesellschaft in Russland noch lebendig ist. Mehr als 20.000 Überweisungen gingen ein, darunter auch größere Summen von bekannten Journalisten und Unternehmern. Die unabhängige Nowaja Gaseta stellte eine Million Rubel zur Verfügung. Die Art des Vorgehens der Behörden hätte viele Bürger dazu bewegt, Kritik auch Taten folgen zu lassen, meint die Politikwissenschaftlerin Jekaterina Schulman von der Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst beim Präsidenten. „Die Dimension der Veränderungen in der öffentlichen Meinung haben wir anscheinend nicht richtig eingeschätzt“, sagt Schulmann. Die Menschen seien aufgebrachter als erwartet.
In privaten Gesprächen würden sich auch loyale Oligarchen von der Außenpolitik des Kreml distanzieren. Staatsbedienstete sprächen von Zusammenbruch und Katastrophe, sagt der Historiker Valerie Solowei von der Moskauer Diplomatenschmiede MGIMO. Wladimir Putins Pressesprecher, Dmitri Peskow, gratulierte unterdessen der New Times zum Crowdfunding-Erfolg. In dieser Woche wird sich ein Gericht mit dem Fall beschäftigen – die The New Times hatte Einspruch gegen die Strafzahlung eingelegt.
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