Medien in Polen: Ende der PiS-Propaganda
Die PiS-Partei hatte die öffentlich-rechtlichen Medien für ihre Zwecke umgebaut. Nun muss sie sich von ihrem wichtigsten Parteisender trennen.
„Wir haben es hier mit einem Staatsstreich der neuen Regierung zu tun. Das ist der Anfang vom Ende unserer Demokratie. Wir müssen für die Medienfreiheit und die Achtung des geltenden Rechts kämpfen.“ Fragen lässt er keine zu, nimmt wieder die Rempelpose ein, und geht dann ohne jede Kontrolle durch die elektronische Sperre. Sasin hat wie die meisten PiS-Politiker, die nach ihm in den Sender kommen, einen elektronischen Schlüssel.
Tags zuvor hatte der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, die Regierung damit beauftragt, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder für „Recht, Objektivität und Ehrlichkeit“ zu sogen. Das gehört zu den Wahlversprechen der Koalition aus liberalkonservativer Bürgerkoalition (KO), christlich-agrarischem Drittem Weg und der Neuen Linken, die am 15. Oktober mit großer Mehrheit die Parlamentswahlen gewonnen hat.
Der Sender TVP mit zahlreichen Regional- und Spartenkanälen, der 24-Stunden-Nachrichtenkanal TVPInfo sowie fünf Radioprogramme, aber auch die Polnische Presseagentur PAP sollten keine PiS-Parteipropaganda-Schleudern mehr sein, sondern den Bürgern und Bürgerinnen Polens nach acht Jahren Indoktrination wieder ein möglichst objektives und ausgewogenes Programm bieten.
PiS verliert ihre Medienmacht
Gegen den Verlust dieser gewaltigen Medienmacht sträubt sich die PiS nach Kräften. Nicht nur, weil TVP in den letzten Jahren immer wieder Zuschüsse von zuletzt jährlich rund zwei Milliarden Zloty (ca. 470 Millionen Euro) aus dem Staatssäckel erhalten hat, sondern auch weil für 70 Prozent der PiS-Anhänger TVP die Hauptinformationsquelle darstellt.
Schon im April 2024 stehen aber Kommunal- und Regionalwahlen in Polen an, bei denen die Stimmergebnisse für die PiS – ohne die PiS-Propagandamaschinen – massiv einbrechen könnten. Ähnliches gilt für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024. Ohne die tägliche Parteiindoktrination könnte die PiS hier etliche ihrer zur Zeit 24 Sitze in der EU-skeptischen und rechtspopulistischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) einbüßen.
Staatlicher Propagandasender
Die Umwandlung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einen staatlichen Propagandasender geht auf das Jahr 2015 zurück. Damals liquidierte die in den Wahlen von 2015 siegreiche PiS den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und erschuf ihn sofort wieder – unter gleichem Namen, aber in anderer Rechtsform.
Mit ihrer damaligen Stimmenmehrheit im Sejm verabschiedete die PiS auch ein Gesetz, das die Entscheidungsgewalt über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von der Regierung und dem Nationalen Rundfunk- und Fernsehrat auf einen neugegründeten „Rat Nationaler Medien“ übertrug. Zwar stufte das 2016 noch funktionierende Verfassungsgericht Polens dieses Gesetz als verfassungswidrig ein, doch dies kümmerte weder die PiS noch Staatspräsident Andrej Duda, der das Gesetz unterschrieben hatte.
Als der neue polnische Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz nun alle Aufsichtsräte und Vorstände der Staatsmedien abberief und sich dabei auf die Resolution des Sejms zur Wiederherstellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das Handelsrecht (TVP ist eine Aktiengesellschaft) und das Urteil des Verfassungsgerichts von 2016 berief, behauptete PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński, dass die neue Mitte-links-Regierung das geltende Recht breche. Zudem sei es so, dass es in jeder Demokratie ein starkes „Anti-Regierungs-Medium“ geben müsse, und das seien eben TVP, TVPInfo und das Polnische Radio.
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