Mediale Begleitung von Prozessen: Das öffentliche Gericht

Bild- und Tonübertragungen aus Gerichtssälen? Eine Kommission des Justizministeriums diskutiert über die mediale Begleitung von Prozessen.

Die Angeklagte Beate Zschäpe (graues Sakko) im OLG München im Mai 2013. Bild: dpa

Sensation im NSU-Prozess: Im Juni 2015 bricht Beate Zschäpe ihr Schweigen. Um eine mildere Strafe zu bekommen, packt sie umfassend aus: wie der NSU die Opfer auswählte und wer den rechten Terroristen im Untergrund geholfen hat. Deutschland ist elektrisiert. Endlich bringt der Jahrhundertprozess die Erkenntnisse, die man sich schon seit dem Beginn im Frühjahr 2013 erhofft hat. Das öffentliche Interesse ist gewaltig. Doch im Prozess finden nur 50 Journalisten Platz, Hunderte von Medienvertretern stehen vor der Tür und sind auf Berichte aus zweiter Hand angewiesen.

Das Szenario ist noch fiktiv. Aber sobald am Oberlandesgericht (OLG) München der Knoten platzt, wird es Realität. Was schon zu Prozessbeginn deutlich wurde, kann sich jederzeit erneut zeigen: Die Medienöffentlichkeit im Prozess ist nicht ausreichend gewährleistet. Derzeit berät eine Bund-Länder-Reformkommission über Verbesserungen.

Zunächst hatte das OLG die begrenzten Plätze im Windhund-Verfahren vergeben – mit der Folge, dass kein einziges türkisches Medium aus dem Gericht hätte berichten dürfen. Das Bundesverfassungsgericht erzwang noch vor Prozessbeginn eine Korrektur. Nun gibt es Kontingente für unterschiedliche Mediengruppen. Die einzelnen Plätze wurden unter mehreren Hunderten Bewerbern verlost. Doch warum wird der Prozess nicht einfach in einen großen Arbeitsraum übertragen? Diese naheliegende Lösung lehnte das OLG damals ab. In Deutschland sei jede Übertragung von Gerichtsprozessen verboten.

Bayern schlug daraufhin eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vor, um Übertragungen in einen Presseraum doch noch zu erlauben. So etwas muss in Deutschland aber gründlich diskutiert werden. Sollen in dem Nebenraum nur Journalisten sitzen oder auch normale Zuschauer? Und ist der Vorsitzende Richter dort auch für die Ordnung verantwortlich?

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Immer mehr Nebenkläger

Mitte 2013 richtete das Bundesjustizministerium deshalb die besagte Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag heißt es immerhin, die Zulassung einer „erweiterten Saalöffentlichkeit“ werde geprüft. Der Konflikt um den NSU-Prozess könnte am Ende also doch noch zu Verbesserungen führen. Schließlich werden derartige Engpässe bei Aufsehen erregenden Prozessen zunehmen. Der immer stärkere gesetzliche Opferschutz führt dazu, dass es in Strafprozessen immer mehr Nebenkläger gibt und deshalb manche Gerichtssäle nicht mehr genug Platz für Zuschauer und Journalisten bieten.

Allein im NSU-Prozess sind 71 Nebenkläger mit Dutzenden Anwälten zugelassen. Das Bundesverfassungsgericht überträgt den Ton seiner Verhandlungen schon seit 1969 in einen Arbeitsraum für Journalisten. Das zeigt, dass interne Übertragungen nicht wirklich verboten sind und das OLG München irrt. Zumindest eine rechtliche Klarstellung ist notwendig.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit gehen die Diskussionen in der Bund-Länder-AG inzwischen weit über das ursprüngliche Thema hinaus. Auf Antrag des Saarlands wird geprüft, ob das generelle Übertragungsverbot „noch zeitgemäß“ ist. Immerhin sind viele europäische Staaten nicht so streng. In Italien, Belgien, Polen, Finnland und England sind Kameras im Gerichtsaal zeitweise zugelassen. In Norwegen wurde der Prozess gegen den rechten Massenmörder Andres Breivik teilweise im Fernsehen übertragen.

In Deutschland sind Bild- und Tonübertragungen aus Gerichtssälen dagegen seit 1964 gesetzlich verboten. Nur bis zum Prozessbeginn und in den Verhandlungspausen sind Kameras erlaubt. Gegen das Verbot klagte 1999 der Nachrichtensender n-tv. Er wollte live über die Prozesse gegen ehemalige DDR-Spitzenpolitiker wie Egon Krenz berichten. Doch das Bundesverfassungsgericht lehnte die Klage 2001 mit knapper Mehrheit ab.

Der öffentliche „Pranger“

„Prozesse finden in der Öffentlichkeit statt, aber nicht für die Öffentlichkeit“, betonten die Richter. Gefilmte Gerichtsreportagen könnten die Persönlichkeitsrechte von Zeugen und Angeklagten verletzen. Das Fernsehen würde zum öffentlichen „Pranger“, die Resozialisierung von Straftätern sei erschwert. Der Gesetzgeber muss Kameras deshalb nicht zulassen, so Karlsruhe, er könnte es aber.

Für Kameras im Gericht plädierte vor einigen Jahren Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Die Bürger sollen ein realistischeres Bild von der deutschen Justizwirklichkeit bekommen. Bisher dominierten andere Vorstellungen, meist aus Hollywoodfilmen genährt. Die Übertragung von Vernehmungen im Strafprozess steht in der Bund-Länder-Kommission aber nicht zur Debatte. Zeugen und Angeklagte könnten sich durch Kameras irritieren und beeinflussen lassen. Das schade der Wahrheitsfindung. Außerdem könnten peinliche Momente später als Lachnummer bei YouTube landen.

Ernsthaft diskutiert wird dagegen die Übertragung von Urteilsverkündungen. Hier ist der Prozess weitgehend abgeschlossen, im Bild wäre nur der sprechende Richter zu sehen. Auch Revisionsverfahren an Bundesgerichten gelten grundsätzlich als geeignet für Übertragungen. Denn hier steht meist nicht mehr der sensible Einzelfall im Mittelpunkt, sondern die generelle Auslegung und Fortbildung des Rechts.

Die größte Hürde für eine Reform sind Richter, die Angst vor unvorteilhaften Bildern haben. Die Vorstellung, dass sie sich beim Verlesen des Urteils verhaspeln könnten und am Ende von Stefan Raab verspottet werden, scheint größer als die Bereitschaft zu mehr Transparenz.

Aufnahmen für die Nachwelt

Als dritte Variante diskutiert die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, ob herausragende Prozesse wie das NSU-Verfahren für die Nachwelt dokumentiert werden. Der gesamte Prozess würde aufgezeichnet, bliebe aber für Jahrzehnte unter Verschluss. In Frankreich gibt es bereits eine entsprechende Regelung. Doch auch hier gibt es Bedenken. Können Aufnahmen, wenn es sie erst einmal gibt, tabu sein?

Verteidiger würden vielleicht versuchen, an das Material heranzukommen, um in der Revision Fehler des Gerichts nachzuweisen. Möglich, dass am Ende selbst zaghafte Reformdiskussionen wieder versanden. Wenn aber Beate Zschäpe wirklich auspackt und die Frage nach Kameras im Gerichtsaal wieder auf die Agenda setzt, dann dürfte es mit Änderungen schnell gehen. Bund und Länder wären jedenfalls vorbereitet.

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