MeToo an der Berliner Volksbühne: Das Schweigen ist vorbei

Die Enthüllungen über den Machtmissbrauch Dörrs sind auch infolge von MeToo möglich geworden. Gemeinsam zu handeln macht die Betroffenen stark.

Aussenaufnahme der Volksbuehne durch das Logo in Berlin

Volksbühne Berlin: Konsequenzen nach Machtmissbrauch und sexualisierten Grenzüberschreitungen Foto: Jens Schicke/imago

Auf einmal ging es ganz schnell. Drei Tage, nachdem die taz eine Recherche zu Machtmissbrauch und sexualisierten Grenzüberschreitungen durch Klaus Dörr veröffentlichte, trat er nun als Intendant der Berliner Volksbühne zurück. Am vergangenen Freitag noch bezeichnete er die in der Recherche dargelegten Anschuldigungen von zehn Frauen als „halt- und substanzlos“. Am Montag dann hat er sich mit Berlins Kultursenator Klaus Lederer „geeinigt“, die Intendanz zu beenden.

Vor drei Jahren richtet Kulturstaatsministerin Monika Grütters die unabhängige und branchenübergreifende Vertrauensstelle Themis ein. Hierhin können sich Betroffene von sexueller Belästigung oder Gewalt in Film, Fernsehen und Theater wenden. Themis ist eine Reaktion auf #MeToo. Anfang 2018 wird durch eine Recherche der Zeit der Fall Dieter Wedel bekannt, der erste größere #MeToo-Fall in der Kulturszene Deutschlands. Im selben Jahr beginnt Klaus Dörr seine Intendanz an der Berliner Volksbühne.

Zwei Jahre später, im November 2020, reichen zehn Frauen bei Themis eine Beschwerde ein. Es geht unter anderem um enge, intime, körperliche Nähe und Berührungen, sexistische Sprüche, Starren auf Brust und Beine, drohende Gebärden, ein vergiftetes Betriebsklima. Mitte Januar landet die Beschwerde bei der Berliner Senatsverwaltung für Kultur.

Die taz konnte mit den Betroffenen sprechen, Chat-Verläufe und E-Mails sehen, mit aktuellen und ehemaligen Kol­le­g*in­nen sprechen. Was die Frauen beschreiben, ist eine Kultur der Abhängigkeit und Angst. Es ist eine Kultur, in der ein Mann seine Macht gegenüber Frauen ausnutzt. Es ist aber auch eine Kultur des Wegschauens. „Wir wussten alle, dass verschiedene Leute davon betroffen sind,“ sagt eine ehemalige Kollegin von Dörr. Alle wussten was, kei­ne*r sagte was.

Was wusste Berlins Kultursenator Klaus Lederer?

Ein bekanntes Muster im Umgang mit sexueller Belästigung. Im Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten im Berliner Abgeordnetenhaus gab Klaus Lederer (Linke) am Montag den Rücktritt von Dörr bekannt. Zuvor stand die Frage im Raum, warum der Kultursenator nicht schon früher handelte. Andrea Koschwitz, ehemalige Chefdramaturgin des Maxim-Gorki-Theaters, berichtete der taz, sie habe sich 2018 warnend an Lederer gewandt. Er habe nur Gerüchte gehört, nichts Konkretes, sagte Lederer nun.

Klaus Lederer hat Recht, wenn er sagt, aufgrund von Gerüchten keine Entscheidungen treffen zu können. Dennoch: 2018 war die #MeToo-Debatte in vollem Gange – Gerüchten über den eigens installierten Intendanten kann man nachgehen, die Kultur des Wegschauens durchbrechen.

Erst nach Veröffentlichung der taz-Recherche und einer darauffolgenden Petition zur Absetzung von Klaus Dörr kommt der Kultursenator zu dem Schluss, dass Dörr sein Amt niederlegen müsse. Dabei liegt die Beschwerde der Frauen seit zwei Monaten in der Senatsverwaltung für Kultur. Zwei Monate, in denen die Frauen weiterhin in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis zu Dörr standen und sich fragen mussten, welche Konsequenzen ihre Beschwerde wohl haben würde. Eine schreckliche Zeit des Wartens.

Time's up. Die Zeiten, in denen sexuelle Belästigung und Gewalt in einer Kultur des Schweigens und Wegschauens verschwinden, sind vorbei. Doch der Fall Klaus Dörr ist vier Jahre nach #MeToo auch ein Zeichen, dass sexistische Strukturen weiter existieren, wenn sie nicht angefochten werden über interne und mediale Aufmerksamkeit.

Der Kern aller Veränderung sind die Betroffenen selbst. Zehn Frauen haben sich getraut, sexistisches Verhalten nicht mehr hinzunehmen, ihre Stimme zu erheben. #MeToo zeigt: Wo eine Betroffene ist, sind meist auch andere. Im gemeinsamen Brechen des Schweigens, im Sprechen über das Geschehene und im Zusammenschluss liegt die Stärke der Bewegung.

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Stellvertretende Chefredakteurin der taz seit April 2016. Vorher Chefredakteurin des Missy Magazine. Aufgewachsen in Dresden. Schreibt über Kultur, Feminismus und Ostdeutschland. In der Chefredaktion verantwortlich für die digitalen Projekte der taz. Jahrgang 1985.

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