#MeToo in der Medienwelt: Phase zwei soll mehr wehtun
Ein Jahr nach Weinstein zieht die Fernsehfachmesse Mipcom in Sachen #MeToo Bilanz. Zufrieden sind die Medienmacherinnen nicht.
Die Mipcom-Fernsehmesse im südfranzösischen Cannes zeigt einmal im Jahr, was bald darauf in Millionen Wohnzimmern über die Bildschirme flimmert. Über 11.000 Verantwortliche von Sendern, Produktionsfirmen, Programmvertrieben, Internetplattformen und Medienkonzernen aus aller Welt, darunter auch viele Deutsche, kommen nach Cannes, um Programme zu kaufen oder zu verkaufen. Der internationale Branchentreff gilt als größte Fernsehmesse der Welt.
Als vor fast genau einem Jahr auch und besonders auf der Mipcom in Cannes Harvey Weinstein das alles bestimmende Thema war, gab sich niemand in der Branche überrascht. Alle wussten, was er schon seit Jahren tat, auch die einschlägige US-Fachpresse.
Nicht genug
„Das ist das Ende eines Dinosauriers“, kommentierte damals Hollywood-Star Catherine Zeta-Jones spontan die Diskussion, „ich hoffe, dass wir jetzt aus dieser Affäre lernen, sonst bleiben wir in einer traurigen und destruktiven Welt.“ In der Zwischenzeit ist eine Menge passiert, vom Rauswurf Kevin Spaceys bei der Netflix-Erfolgsserie „House of Cards“ über die Vorwürfe mehrerer Frauen gegen den deutschen Regisseur Dieter Wedel bis hin zum Zwischenruf von Catherine Deneuve und anderer französischer Schauspielerinnen, die sich von #MeToo distanzierten. Genug Diskussionsgrundlage also beim „Women in Entertainment Power Lunch“, einer exklusiven Veranstaltung auf der diesjährigen Mipcom. Deutsche Medienmanagerinnen waren leider kaum welche dort.
Die Teilnehmerinnen zogen Bilanz: Nicht genug habe sich für die Frauen in der Film- und Medienbranche geändert, war das einhellige Urteil.
Augenwischerei war die Erfolgsbotschaft von Elizabeth Vargas deswegen aber nicht. Unter anderem haben im letzten Jahr CBS-Chef Les Moonves und Charlie Rose, einer der angesehensten TV-Journalisten Amerikas, ihre Jobs verloren. Vargas, die selbst als eine der einflussreichsten Frauen im US-Fernsehen gilt, spricht nun vom Beginn einer zweiten Phase von „#MeToo“ – eine Phase, die „weitaus grausamer“ werden könne.
Ute Biernat, Ufa-Geschäftsführung
Denn nach den Erfolgen für viele Aktivistinnen kommen immer häufiger die Rückschläge: Vorwürfe, Frauen setzten ihre Reize gezielt ein. Die Unterstellung, viele Anschuldigungen seien letztlich überzogen oder gar unwahr. Dazu die allerorts erfolgreichen konservativ-populistischen Bewegungen, die in der Auseinandersetzung eine Gefahr für die heile Welt von Familie und Ehe sehen.
Dazu kommt, dass die Macht, die bei sexueller Belästigung entscheidend ist, nach wie vor zum größten Teil bei den Männern liegt. In der Medienwelt wie sonst auch. Und so ging es im Panel vor allem darum, zu verstehen, wie man das durch #MeToo entstandene Problembewusstsein nutzen kann, obwohl die konkreten Strukturen letztlich immer noch dieselben sind.
Alles beim Alten
„Es wurde viel geredet im letzten Jahr, aber jetzt wird es Zeit, Frauen konkret zu unterstützen“, sagte Florence Sandis. Die Präsidentin des Vereins médiaClub’Elles repräsentiert und unterstützt Frauen, die in der französischen Medienbranche arbeiten. Zwar seien Veränderungsprozesse in Gang gekommen, aber immer noch seien Frauen in der Industrie deutlich unterrepräsentiert.
Das erinnert an Schauspielerin Natalie Portman, die das Problem im Januar bei der Verleihung der „Golden Globes“ auf den Punkt brachte, indem sie die „fünf ausschließlich männlichen Nominierten“ für die Regieauszeichnung ankündigte. Das erste Jahr #MeToo in der Medienwelt, so scheint es, drehte sich ums selbstbewusste Benennen von Problemen, nicht um deren Lösung.
Die Debatte
Ausgelöst von den veröffentlichten Anschuldigungen gegen den US-Produzenten Harvey Weinstein entstand eine internationale Debatte über sexualisierte Gewalt. Während einige sie als feministische Revolution feiern, kritisieren andere den generellen Umgang mit dem Thema. Doch was ist seit dem 5. Oktober 2017 passiert? Hat sich unsere Gesellschaft in diesem Jahr verändert oder ist alles beim Alten geblieben?
Die Serie
Den Oktober über werden auf dieser Seite und auf taz.de verschiedene Aspekte der Debatte betrachtet.
Die Annenberg School for Communication and Journalism hatte vor Kurzem konkrete Zahlen für die USA vorgelegt, die das Missverhältnis aufzeigen: Von den Hollywoodfilmen, die in den letzten zehn Jahren entstanden, waren noch nicht einmal vier Prozent der Regisseure weiblich. Und nur rund 30 Prozent aller Sprechrollen in US-Filmen waren letztes Jahr mit Frauen besetzt.
Ellen Lovejoy aus der Führungsriege des US Medienkonzerns A + E forderte einen tiefgreifenden Wandel. Im eigenen Unternehmen mit Hauptsitz in New York habe man bereits konsequente Wege beschritten: „In unserem Unternehmen sind 70 Prozent aller Autoren, Regisseure und Produzenten weiblich. Der Durchschnitt allgemein in unserer Industrie lag 2017 bei 30 Prozent. Wir brauchen mehr Frauen in verantwortungsvollen Positionen.“
Um auf diese Unterrepräsentierung hinzuweisen und die Geschlechtsgenossinnen zu mehr Solidarität untereinander aufzurufen, hatte Lovejoy den regelmäßig stattfindenden „Power Lunch“ auf der Mipcom in diesem Jahr zur #MeToo-Veranstaltung ausgerufen.
Ute Biernat, einzige Frau in der Geschäftsführung der Ufa, sagte anlässlich des Branchentreffs: „Es war gut, dass das Thema noch mal auf den Tisch kam, weil so getan wird, als ob Gleichberechtigung schon überall Realität sei, aber das ist sie nicht. Selbst das Frauenbild im TV ist ja immer noch sehr altbacken.“ Die Diskussion um sexuelle Belästigung sei letztlich wieder in eine Diskussion um Ungleichheit gemündet.
Die generelle Erkenntnis des Austauschs während der Messe jedenfalls war klar: Überall dort, wo sich extreme Machtgefälle etabliert haben, findet auch Unterdrückung statt, und es gibt nicht annähernd genug Frauen in einflussreichen Positionen, um diese Situation aufzubrechen. Vargas: „Das ist eine Generationenaufgabe.“
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