: Maybe später it kommt
■ Der jamaikanische Reggaemusiker Hylton Brown faßte den Mut, im kalten Bremen eine sympathische Reggaekneipe zu eröffnen
Eigentlich wäre er der ideale Mitarbeiter für die „Bremer Marketing Gesellschaft“. Denn wahrscheinlich ist Hylton Brown das letzte menschliche Wesen, das diese Stadt uneingeschränkt toll findet. Strikt weigert er sich, über Bevölkerung oder Bewölkung zu jammern. Manchmal erinnert ihn Bremen sogar an seine Heimat. Selbst die Natur! „Na gut, hier gibt es keine Palmen, aber es gibt doch auch Bäume – im Bürgerpark, am Unisee...“
Vordergründig ist Hylton Brown Reggaemusiker und frischgebackener Kneipenbesitzer. In Wahrheit aber ist er Philosoph. Und als solcher lehrt er uns, daß es nur eine Frage der mentalen Großzügigkeit ist, ob man sich in der Welt fremd oder heimisch fühlt. Weser oder Karibik – ach, ist doch beides dieselbe Sorte von Wasser. So gibt es genau zwei Orte, an denen Brown aufatmet: „Oh, ich bin angekommen.“ Das ist der Mantego Bay Airport in Jamaika und eben der Bremer Flughafen. „Wie ich 1985 hierherkam, waren die Menschen ausgesprochen nett. Ich hatte sogar den Eindruck, die Bremer finden Farbige irgendwie spannend. Leider hat sich das ein wenig geändert. Doch wenn ich heute gelegentlich schräg angeschaut werde, dann ignoriere ich das einfach. Schließlich gibt es genug positiv denkende Menschen, mit denen sich zu reden lohnt.“
Keine Frage, Hylton Brown ist ein Virtuose im „positive thinking“. Und dies ganz ohne Dale-Carnegie-Lektüre. Ganz egal, über was er spricht, immer glaubt er, daß noch die schwierigsten Probleme sich in Luft auflösen, wenn die Menschen nur endlich lernen würden, einander zu akzeptieren. Zum Beispiel das Gerangel um die doppelte Staatsbürgerschaft. Diese elende Diskussion um die Integrationswilligkeit von Ausländern hält Brown für komplett verfehlt. In Wahrheit ist doch alles ganz einfach. „Wenn sich die Leute hier angenommen fühlen, dann werden sie sich ganz automatisch integrieren, ohne Zwang. Zwang macht alles immer nur komplizierter. Asylbewerbern zum Beispiel gibt man nicht die geringste Chance zur Integration, verpaßt ihnen Arbeitsverbot, um dann darüber zu klagen, wie wenig integrationswillig sie seien, und wie teuer.“ Richtig schade, daß nicht er auf dem Stuhl von Marieluise Beck sitzt.
Hylton Brown selbst ist übrigens kein Asylbewerber. Er ist verheiratet, hat drei Kinder (zwölf, sechs und vier Jahre) und die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Trotzdem spricht er immer noch lieber Englisch als Deutsch. Auf Englisch erzählt er, daß die englische Sprache für ihn Musik sei, daß er sich eher international als deutsch fühle, daß er sich aber redlich um die deutsche Sprache bemühe, doch keine Lust hätte, sich irgendwelchen Zwang aufzuerlegen: „I flow with the wind, I go with the time, maybe später it kommt.“
Wenn dann auch einmal „it“ kommen sollte, daß er hier wählen darf, dann wird er freudig zur Urne schreiten. Wenn nicht, dann regt er sich darüber aber keineswegs auf. Das ist nämlich wie mit dem Wetter: „Ich habe keinen Einfluß darauf. Also nehme ich es hin, wie es ist. Das spart mir einigen Streß.“ Amor fati sagt, ja sagt Brown nicht, denkt es aber immerfort wie ein echter Stoiker oder Nietzscheaner.
Über Ausländerfeindlichkeit redet er nicht gern. Kommt er gar ins Politisieren, ist es ihm hinterher schrecklich peinlich. Denn Rettung sieht er nur, wenn man aufhört mit dem ewigen Analysieren der Probleme und statt dessen das Gute befördert. „Wenn ich mich konzentriere auf das Üble, dann verliere ich meinen Weg. Alles was ich tun muß, ist Kurs zu halten auf meinem eigenen Weg.“ Dieses Immunisieren gegenüber manchen miesen Vibrations da draußen scheint er regelrecht zu trainieren. „Wenn ich auf dem Bremer Marktplatz stehe, dann stelle ich mir manchmal vor, weit weg auf einem einsamen Berggipfel zu stehen – und umgekehrt. So etwas gibt einem einen gewissen Abstand .“
Zweimal hat er versucht, seine „message“, seine „misson“ im Viertel zu propagieren. In seinen sogenannten „Culture shops“ suchte er den interkulturellen Austausch. Nur: Die Anwohner wollten nicht austauschen und klagten ihn weg. Kein Beinbruch für einen Meister des Hinnehmens. Jetzt missioniert er eben jeden Donner-stag zwischen fünfzehn und sechzehn Uhr über den Offenen Kanal. Und kürzlich verwandelte er ein kleines Pilspub in einem skurrilen Hinterhofam-biente gegenüber dem Telecommoloch in einen Ort der „good vibrations“. „A lot of inspirations flow around“, sagt er, und läßt den Blick liebevoll über einen Dart-Automaten schweifen. „Vielleicht entwickelt hier irgendjemand ein Filmprojekt oder einen Roman...“
Seit Dezember bedient Brown hier jeden Abend etwa zwanzig Gäste. „Wenn die Leute hier hereinkommen,dann können sie mich sehen, mich lesen, ohne daß ich viel erzählen muß“, meint er. Was aber ist im „Little Jamaica“ zu sehen? Also: eine jamaikanische Flagge an einer Industriekassettendecke, Jugendfotos von Hylton Brown, jede Menge Gemälde mit wuchernden Palmwäldern, eine Reihe von Zertifikaten für den Musiker Brown, zwei jamaikanische Holzschnitzarbeiten, Bob-Marley-Poster und -Flagge – und ein schwerer Pilspubtresen von zweifelhaftem Charme. „Der war schon da. Aber ich finde ihn gut.“ Natürlich, wer hätte von Hylton Brown auch anderes erwartet. Passend steht auf einem großen Bild „J & G Production“, J für Jamaican, G für German, eine vogelwilde Designsymbiose. Und dann ist da noch jenes Benetton-Werbeposter, auf dem ein weißes Kind zärtlich ein farbiges Baby im Arm schaukelt. Darunter euphorisch: „We want you!“
Jetzt ist „Little Jamaica“ erst einmal geschlossen. Der 45jährige besucht seine betagten Eltern in Jamaica. Die waren noch nie in Deutschland. „Es ist für sie noch nicht an der Zeit, zu kommen; aber wer weiß, vielleicht eines Tages?“ Vier Geschwister leben in Jamaica u.a. als Koch, Handwerker am Bau und LKW-Fahrer. Eine Schwester arbeitet in Kanada als Krankenschwester. Die Eltern haben sich damit abgefunden, daß ihr Sohn unerreichbar ist. „Sie wissen, daß ich ein Reisender bin.“
In der Tat kennt Brown die Welt. Amerika ist im vertraut aus Zeiten, in denen er mit Körben Handel trieb. Später besuchte er Las Vegas, Kansas und sogar einen polnischen Kindergarten im Auftrag von „Reggae Ambassador“, einem Verein zur Verbreitung der Rasta-Idee mit Sitz in Utah. Er kennt aber auch England, Spanien, Frankreich und gab in Köln, Hamburg, Berlin, Bamberg Konzerte. Fünf eigene CDs stapeln sich irgendwo hinter dem Tresen. Auf einem Cover ist Nelson Mandela zu sehen. „Ein großartiger Mann.“ Stimmt.
Barbara Kern
„Little Jamaica“ wiedereröffnet am 20.März; täglich ab 20 Uhr; Ölmühlenstraße 8. Di ist Domino-spielen, Fr u. Sa Bongodrumming
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