Maxim Billers Kolumne in der FAS: Schluss mit lustig
Billers „Moralische Geschichten“ waren 18 Jahre lang eine verlässliche Reaktion auf das Zeitgeschehen. Nun wurde die Kolumne eingestellt.
Am Sonntag werden die „Moralischen Geschichten“ Maxim Billers nicht erscheinen. Nach 18 Jahren wurde die Kolumne in der FAS eingestellt. Als der Schriftsteller das auf Facebook mitteilte, kommentierte eine Leserin: „Die moralischen Geschichten haben meistens die halbe Hausapotheke ersetzt, manchmal sogar die ganze.“
Dabei gilt Maxim Biller nicht als therapeutischer Autor, als Schamane, der seine und unsere Rettung im Humor sucht. Seine „Moralischen Geschichten“ werden meist auch nicht als heilsam oder tröstlich begriffen. Dabei trifft diese Beschreibung die Sache ganz gut.
So polemisch oder gar unduldsam die Haltung des Erzählers der Geschichten von Kohn, seiner Mutter Balalaika und seiner Tochter Rosa manchem erscheinen mag, ist sie doch vom humanistischen Geist der Literatur durchdrungen. Ihre Prämisse lautet, dass man sich dem anderen verständlich machen kann. Ihre Utopie besteht darin, an die Möglichkeit der Empfindsamkeit und Einfühlung in den anderen zu glauben, selbst in Deutschland.
Beispielhaft zeigt sich das in Billers Geschichte von Libsker, der Episoden der Impotenz seinen Geliebten damit erklärt, dass er seine Familie in den Vernichtungslagern verloren habe. Bis er eines Tages auf die blonde Saskia trifft, die ihm daraufhin ihre ganze kaputte Familiengeschichte offenbart und erklärt, davon lasse sie sich den Spaß mit Libsker nicht verderben, was dessen Kräfte wiederkehren lässt.
Ironisch oder nicht?
Die „Moralischen Geschichten“ sind in der Tat moralische Geschichten. Das soll weder heißen, dass sie der Erbauung dienen, noch, dass ihr Autor mit erhobenem Zeigefinger schreibt. Billers Kunst besteht darin, seine Leserinnen herauszufordern, sich mit sich selbst ins Benehmen zu setzen. Nie kann man sich sicher sein, ob Biller seinen Figuren ironisch gegenübertritt, oder ob er nur so tut, um die Leserin zu einem eigenen Urteil anzustacheln.
Seine Geschichten reagierten stets auf das Geschehen der Zeit und schrieben so eine Geschichte deutscher Gegenwart. Wenn Historiker in 50 Jahren wissen wollen, was die Leute am Anfang des 21. Jahrhunderts umgetrieben hat, werden sie in ihnen eine verlässliche Quelle finden.
Jürgen Kaube, fürs Feuilleton zuständiger Herausgeber von FAZ und FAS, begründet ihr Ende auf Anfrage dieser Zeitung damit, irgendwann sei selbst bei den vielseitigsten Autoren ein bestimmtes Motiv ausgereizt. Richtig, die „Moralischen Geschichten“ folgen einem erzählerischen Muster. Aber auch die deutsche Gemütsverfassung kennt den Wiederholungszwang. Die Kolumne, die uns darüber lachen lässt, gibt es nun nicht mehr.
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