Matthias Brandt am Berliner Ensemble: Solo für Gantenbein
Geschichten anprobieren wie Kleider: Brandt feiert am BE mit Max Frischs „Mein Name sei Gantenbein“ die Rückkehr auf die Bühne nach 20 Jahren.
Da steht er, der ehemalige „Polizeiruf“-Kommissar, mit Hut und Trenchcoat, inmitten eines sich ins Schwarz verflüchtigenden Guckkastens, umrahmt von Neonleuchten, die mal blau, mal rosa, mal grün aufstrahlen, sich zwischendurch verdoppeln und verdreifachen wie Spiegelbilder.
Hier schauen wir Matthias Brandt beim Neusortieren der Gedanken zu. Als Erzähler des „Gantenbein“-Romans probiert er Geschichten aus, die sein Leben sein könnten: „Ich stelle mir vor: Mein Leben mit einer großen Schauspielerin, die ich liebe und daher glauben lasse, ich sei blind. Unser Glück infolgedessen. Ihr Name sei Lila.“
Der neongerahmte Kasten, innen holzgetäfelt, lässt die Bühne wie einen großen Fernseher wirken, als schaue Brandt uns noch immer aus der Mattscheibe entgegen. Als Hanns von Meuffels war er ein Kommissar aus gutem Hause, ein Schweiger und Melancholiker, der sich in seine Einsamkeit zurückzieht, dem jedoch stets im Gesicht geschrieben steht, dass es noch vieles zu enträtseln gäbe. Dieses sichtbare Denken beim Sprechen zeichnet ihn nun auch auf der Bühne aus.
Seine langen Reflexionspausen wirken zwar oft affektiert, doch Brandt lässt ein psychologisches Spiel in vielen Variationen entstehen, die auch Max Frischs Selbstironie nicht missen lassen. Tragikomisch ist es im Roman, wenn Enderlin nachts von Eifersucht geplagt die Schublade seiner Frau aufbricht und lange braucht, bis er in den dortigen Liebesbriefen seine eigenen erkennt.
Identität als Frischs Lebensthema
Brandt kostet den Moment der Überführung voll aus, rauft sich die Haare, torkelt betrunken über die Bühne, als er erst den langweiligen Lebenskitsch der Briefe bemängelt, darin keinerlei Charakter findet, mit dem er sich messen könnte – um dann in der Sekunde des Gewahrwerdens erschrocken in sich zusammenzusinken. Die Frage der Identität, Frischs Lebensthema, steht über allem. Zentral aber ist der Satz: „Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte seiner Erfahrung.“
Wie erzählen über einen Menschen, wie seine Erfahrungen zu einer Geschichte zusammensetzen? Es sind große, wichtige Fragen, die in der heute so segmentierten Wirklichkeit womöglich sogar drängender sind als im Erscheinungsjahr des „Gantenbein“ 1964.
„Mein Name sei Gantenbein“ im Berliner Ensemble. Weitere Vorstellungen am 18., 19., 23., 24. und 25. Januar
Im postdramatischen Theater ist die gespaltene Identität nichts Neues: Überall spielen Schauspielerinnen fünf Rollen am selben Abend oder stehen sieben Hamlets auf der Bühne, für jede Charaktereigenschaft einer. Doch Frisch interessiert sich weniger für die Spaltung der Identität als für deren Zusammenführung. Er lässt seinen Erzähler immer neue Variationen derselben Geschichte erfinden. Die traumatische Erfahrung darunter ist das Zerbrechen einer Liebe.
Oliver Reese hat den Roman auf 24 Seiten verkürzt und arbeitet sich oberflächlich an den Grundthemen ab: die Verwandlung des Erzählers zu Gantenbein, der vorgibt, blind zu sein; das Zusammentreffen mit der Prostituierten Camilla Huber, die Gantenbein vorspielen kann, sie mache Maniküre; der verliebte Enderlin kommt vor; der verlassene Ehemann Svoboda. Eine ästhetische Idee für die Inszenierung des Textes scheint der Regisseur allerdings nicht zu haben.
Die Krux der Romanadaption
Brandt zieht verschiedene Accessoires aus den Wänden des Bühnenrahmens, mit denen er das Geschehen illustriert. Kleidungsstücke, die selbstverständlich gewechselt werden wie die Geschichten. Eine Blindenbrille, einen Stock, ein Whisky-Glas. Dazu spielt halbjazzige Fahrstuhlmusik.
Plump und einfallslos wirkt das, der tastenden, poetischen Vorlage nicht angemessen. Die überdeutliche Aktualität von Frischs Text kann die Inszenierung nicht tilgen, so schnell bringt man gute Literatur nicht um.
Es offenbart sich aber einmal mehr die Krux von Romanadaptionen: Frischs Buch ist ein für sich stehendes literarisches Werk – will man das Spiel mit Identitätsausformungen fürs Theater fruchtbar machen, muss ein Regisseur eine Form finden, in die sich diese poetologische Suche nach der Erzählung theatral übersetzen lässt. Wäre Reese auf der Suche nach einer Form gescheitert – das wäre ein Ergebnis.
Doch die Inszenierung gefällt sich viel zu sehr in ihrem gediegenen Glanz, als mal versuchsweise nach rechts oder links abzuzweigen.Matthias Brandt zeigt, dass er ein virtuoser Sprecher ist, der jedes Wort verdeutlichen kann – manchmal sogar zur Überdeutlichkeit neigt. Eine Regieleistung ist es dagegen nicht, den zusammengestrichenen Romantext im Neonrahmen von einem Fernsehstar sprechen zu lassen.
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