Matta-Ausstellung in Hamburg: Der Raum hinter der Leinwand

Zwischen Mikro- und Makrokosmos: Eine Hamburger Ausstellung fordert eine Neubewertung des halb vergessenen chilenischen Künstlers Roberto Matta.

Saugt den Betrachter unwiderstehlich an: Hyper-Gemälde von Roberto Matta. Bild: dpa

HAMBURG taz | Unendliche Weiten: Noch nie ist jemand jemals so weit in ferne Universen vorgedrungen. Jedenfalls nicht mit Ölfarbe auf Leinwand. Was derzeit im Hamburger Bucerius Kunstforum zu sehen ist, ist nicht weniger als eine Neuentdeckung eines eigentlich altbekannten, 2002 gestorbenen Künstlers.

Roberto Sebastián Antonio Matta Echaurren galt – neben dem Kubaner Wifredo Lam – jahrzehntelang als einer der wenigen internationalen Malerstars aus Südamerika. Früher mehrfach auf der documenta ausgestellt, war der Ruhm des baskischstämmigen, auch in vielen deutschen Museen vertretenen Matta letztens etwas abgeflaut – auch durch stilistische Verflachung wie bei einigen der jetzt in Hamburg gezeigten, peinlich karikaturhaften Bilder – etwa von Autos im Verkehrsstau.

Mit der ersten größeren Ausstellung seit zwanzig Jahren fordert nun das Bucerius Kunstforum in Kooperation mit dem Museum Frieder Burda in Baden-Baden jetzt nichts weniger als eine Neuentdeckung ein. Und als Beweis der Aktualität verweisen die Macher auf die oft Science-Fiction-affine, manchmal Comic-artige und bis zum Graffitihaften reichenden Bildthemen.

Ja, es stimmt, diese mit Liniengewirr und Farbwolken übervollen Riesen-Leinwände in Hamburg explodieren in nie gesehene kosmische Räume hinein. Teils über- und nebeneinander gestapelt wollen diese Malereien – Bühnenbildern gleich – die Betrachter einsaugen. In der Tat hatte Matta, gelernter Architekturzeichner aus dem Büro Le Corbusier, auf Anregung der Surrealisten schon in den dreißiger Jahren begonnen, Räume jenseits des bisher Vorstellbaren zu vermessen.

Dass die Biographie Mattas zwischen Chile, seinem künstlerischen Initiationsort Paris, seinem Exil mit erfolgreichen Ausstellungen in New York und seinem Nachkriegsleben in Rom vielleicht interessanter ist, als die gezeigten Bilder, vermittelt allerdings nur der Katalog – ein angesichts der enormen Bildformate erstmaliges Querformat der silbern designten Bucerius-Kunstbücher.

Matta ging es immer darum, einen Raum hinter der Leinwand, ja hinter dem bekannten Universum zu erschließen – ohne je auf die klassische Methode „Farbe auf Leinwand“ zu verzichten. Gleichermaßen in Mikroskop und Teleskop schauend, zeigt seine oft zeichenhaft über diffuse Farbfelder gelegte Malerei Momentaufnahmen transzendenter Räume zwischen Mikro- und Makrokosmos. Mathematisch präzise, perspektivisch verkürzte Lineamente führen über die Grenzen dieser Welt hinaus und treffen auf quasi extraterrestrische Formen und Farben.

Das hat manchmal allerdings auch etwas theatralisch Illustratives. Die Hamburger Ausstellungsmacher zudem auf Inszenierung, die überwältigen soll – ganz im Sinne eines Dioramas aus dem 19. Jahrhundert: Vor runden schwarzen Wänden werden die Bilder aufgespannt wie in einem uralten Wunderkabinett. Im Obergeschoss werden sie unter Schwarzlicht gar zu einer grün-blau oszillierenden Jahrmarktattraktion.

Das ist nur entschuldbar, wenn man weiß, wie sehr Matta die Popularisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zwischen mikroskopisch faszinierenden Strahlentierchen und fernem Sternenstaub auch für sein Werk wirksam werden lassen wollte.

Der gute Freund Duchamps, der in den 40er Jahren im New Yorker Exil in engem Kontakt mit dem brandneuen abstrakten Expressionismus stand, entschied sich gegen den damaligen Trend für eine relative Figürlichkeit. Deshalb malte Matta auch in den 50er Jahren – einer Ära der Abstraktion – weiterhin eigenartig roboterhafte Figurationen in multidimensionalen Räumen. Es sind Räume, die aus der Sprengung der Dimensionen entstanden scheinen. Oder: in Hyperraumnetze eingeschriebene schwebende Laboratorien voller eingefrorener Explosionen, die zugleich das Innen und das Außen zeigen.

Obwohl er seiner Heimat und seiner latifundienbesitzenden Familie höchst kritisch gegenüberstand und sich eher als polyglotter Weltbürger verstand, erfüllt Matta in seiner Kunst auch das Klischee des Südamerikanischen: visionär utopisch, dabei iberisch hartkantig und latent größenwahnsinnig.

Dass sich der Freund von Picasso, Max Ernst und Jackson Pollock, aber auch von Federico Garcia Lorca, Pablo Neruda und Fidel Castro beeinflusste Matta stets politisch links engagierte, so insbesondere für Allende und gegen Pinochet, ist in der Hamburger Schau leider nur dem Katalog zu entnehmen. Trotzdem lohnt diese multidimensionale erschließende Malerei einen genaueren Blick. Ganz getreu der Forderung Mattas, die da lautet: „Die Kunst soll das Universum erweitern!“

„Matta. Fiktionen“: bis 6. 1. 2013, Hamburg, Bucerius Kunst Forum
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