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Maßnahmen gegen JugendgewaltIn Neukölln liegt auch die Lösung

Kommentar von Uta Schleiermacher

Der oft negative Fokus auf den Berliner Bezirk Neukölln ist übertrieben. Im Gegenteil: Hier ist viel Vorbildhaftes zu finden.

Überraschend: Manchmal passiert in Neukölln auch einfach mal gar nichts Foto: Katharina Kemme/dpa

W enn in Neukölln etwas passiert, scheint es meist krasser als im Rest des Landes. So gab es bundesweit in der Silvesternacht Ausschreitungen mit Angriffen auf Polizei und Rettungspersonal, etwa in Stuttgart, Essen, Hannover und Frankfurt am Main, und auch an viele Orten in Berlin, wie Schöneberg und Prenzlauer Berg. Doch im Fokus der Berichterstattung stand danach: Neukölln.

Auch Rangeleien an einer Baderutsche kommen nicht nur im hiesigen Freibad am Columbiadamm vor. Doch wenn sich in Stadtroda, Kaiserslautern oder Gelsenkirchen Freibadgäste kloppen, schreibt darüber meist nur die lokale Zeitung. Über das Verhalten von Neuköllner Jugendlichen diskutiert dagegen gleich die ganze Republik.

Unbestritten, Neukölln hat eine Reihe von Problemen. Die Armut im Bezirk ist hoch. Das bedeutet, dass überdurchschnittlich viele Kinder im Mangel aufwachsen. Die Ausstattung der Schulen ist oft schlecht, die gut ausgebildeten Leh­re­r*in­nen suchen sich, wenn sie die Wahl haben, eher Schulen in anderen Bezirken aus. Weil der Norden Neuköllns als hip gilt, ist es inzwischen schwer, eine Wohnung zu bekommen und die Mieten sind stark gestiegen, so dass Familien oft sehr beengt leben.

Mit rund 330.000 Ein­woh­ne­r*in­nen hat der Bezirk die Größe einer mittelgroßen Stadt – mit dem Unterschied, dass in Neukölln überdurchschnittlich viele Menschen ohne Wahlberechtigung leben, etwa weil sie nur eine Duldung haben, also einen eher prekären Aufenthaltstitel. Und ja, auch die Kriminalität ist in Neukölln ein Problem – wenngleich die Anzahl von Straftaten in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg höher ist.

Ansätze aus dem Bezirk ausgeweitet

Neukölln ist gleichzeitig aber auch ein Ort, an dem Lösungen entstehen. Die für den Bezirk zuständige Jugendrichterin Kirsten Heisig forderte schon 2010, dass gerade jugendliche Straftäter schnell mit ihrem Handeln konfrontiert werden sollten. Inzwischen ist das danach benannte „Neuköllner Modell“ bundesweit in der Strafverfolgung gang und gäbe, es gilt als durchaus erfolgreich.

Auf ähnlichen Überlegungen beruht auch die Arbeit des Teams Jugend-Delinquenz (vorher: AG Kinder- und Jugendkriminalität), für das seit 2016 in Neukölln Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendberufsagentur, Amtsgericht und So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen eng zusammenarbeiten. Im Fokus stehen junge Menschen zwischen 11 und 17 Jahren, die wiederholt durch Gewalt aufgefallen sind: im Fachjargon Intensivtäter, Schwellentäter oder kiezorientierte Mehrfachtäter genannt. Entscheidend dabei ist: Die So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen gucken auf die Stärken und Potenziale dieser – meist männlichen – Jugendlichen.

Auch dieses Neuköllner Modell gilt als erfolgreich. So sagte etwa die Leiterin der dortigen Jugendgerichtshilfe: „Unter denen, die bisher wegen der Randale an Silvester angeklagt sind, war jedenfalls keiner von unseren Jugendlichen.“ Mehr als 100 Jugendliche haben das Programm bisher erfolgreich durchlaufen, die Abbrecherquote ist gering. Ziel ist, dass die Jugendlichen über den Zeitraum von einem Jahr nicht mehr straffällig geworden sind und dass sie Perspektiven für Schule, Beruf und Freizeit entwickelt haben. Das Programm soll nun auf ganz Berlin ausgeweitet werden – eine der ersten großen Maßnahmen gegen Jugendgewalt, die bereits im Gipfel nach Silvester angekündigt worden waren.

So anders ist Neukölln gar nicht

Als Franziska Giffey (SPD) noch Bezirksbürgermeisterin war, hatte sie regelmäßig Delegationen zu Besuch, die sich über das Zusammenleben der Menschen aus mehr als 160 Nationen informieren wollten. Und die Rütli-Schule haben Senat und Bezirk nach dem ebenfalls bundesweit diskutierten Brandbrief 2006 zu einem Vorzeige-Campus ausgebaut.

Befeuert durch antimuslimische und rassistische Vorurteile werden aus der Sicht von außen die sozialen Probleme in Neukölln zu oft mit gefühlten kulturellen Unterschieden erklärt. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die sozialen Herausforderungen in Neukölln nicht anders sind als in anderen Orten in Deutschland auch. Deshalb eignen sich die hier entwickelten Lösungsansätze ja tatsächlich gut dazu, sie an anderen Orten anzuwenden.

Und dass hier Menschen mit so unterschiedlichen Herkünften, Hintergründen und Bedürfnissen in Neukölln letztlich doch recht reibungslos zusammenleben – auch das kann man durchaus mal als vorbildhaft anerkennen.

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2 Kommentare

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  • Problem GENTRIFIZIERUNG?



    Früher schrieb auch die taz mehr über Gentrifizierung, die gibt es natürlich ebenso in Bochum und Münster, ähnlich groß wie Neukölln. Über die selbsternannte "Meckerin der Gentrifizierung" schrieb berliner-zeitung.de



    "Sie half Neukölln hip zu machen, nun verließ sie Berlin frustriert



    Marion Simon hat 30 Jahre in Berlin gelebt und eine der ersten illegalen Szenelocations in Neukölln mit eröffnet. Vor neun Monaten verließ sie die Stadt. Warum?



    Interview



    :



    Susanne Lenz"



    Eigen- und Fremdwahrnehmung sind nicht kongruent, denke ich.



    Bei wdr.de fand ich:



    "Gentrifizierung in Großstädten



    Vom Malocherviertel zur Top-Lage



    Stand: 24.07.2013, 06:00 Uhr



    Früher graue Tristesse, heute Szene-Läden mit Multikulti-Chic: In Zeiten akuter Wohnungsknappheit sind in Großstädten wie Köln, Düsseldorf oder Münster die traditionellen Arbeiter-Viertel als Lebensmittelpunkt begehrt. Wie genau funktioniert diese "Gentrifizierung"?"



    "Schaut auf diese Stadt" - immer wieder gerne als Weltstadt und als "Mikrokosmos".

  • Danke für diesen Artikel!



    Ich bin der Diskussion als Neuköllner so müde. Es ist nie die Herkunft, oder die Kultur. Es ist immer das Milieu. Durch das stark eingeschränkte Arbeitsrecht, das bewusst nicht reformiert wird (!),Werden soviele Menschen in perspektivlose Lebenssituationen gezwungen.



    Gleichzeitig herrscht in fast jedem Industriebereich Arbeiter_innenmangel.



    Warum ist das so?