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Maßnahmen gegen FußballfansRot-blaue Koalition gegen Iris Spranger

Fans von Hertha und Union fordern eine faktenbasierte Diskussion über Sicherheit in Stadien. Die Innensenatorin soll keine Verschärfungen mittragen.

Fans von Union und Hertha protestieren bei der Fandemo in Leipzig Foto: osnapix/imago
Erik Peter

Aus Berlin

Erik Peter

„Fankultur überlebt jede Ministerkonferenz. Frau Spranger, wählen Sie Populismus oder Fachkompetenz?“ Die Frage an Berlins SPD-Innensenatorin schmückte die Gegengerade der Alten Försterei über die gesamte Länge beim Heimspiel von Union Berlin gegen Heidenheim am vergangenen Samstag. Ihren Protest begleiten die Fans zudem mit Schweigen in den ersten zwölf Minuten des Spiels – so wie seit Wochen in allen Stadien der Republik.

Parallel dazu, beim Auswärtsspiel von Hertha BSC in Kiel, hieß es auf mehreren Tapeten: „Spranger: Den Berliner Weg auch in der Politik fortführen. Populismus und Lügen eine Abfuhr erteilen.“ Den „Berliner Weg“ hatte der verstorbene Hertha-Präsident Kay Bernstein einst als Leitbild des Vereins etabliert – er meint in erster Linie das demokratische Einbeziehen aller Beteiligten.

Die Fans der beiden großen Berliner Vereine eint die Sorge vor einem Maßnahmenpaket unter dem Titel „Fußball ohne Gewalt“, das auf der am Mittwoch startenden Innenministerkonferenz (IMK) in Bremen zur Abstimmung stehen wird – und zwar ohne Mitwirkung oder zumindest Anhörung von etablierten Fanstrukturen, von Fanprojekten oder Vereinen. Die beiden eigentlich rivalisierenden großen Berliner Fanszenen haben deshalb einen gemeinsamen offenen Brief an Iris Spranger geschrieben, in dem sie die Politikerin auffordern, sich an Fakten zu orientieren.

Sie weisen darin vor allem das Zerrbild von „zunehmender Gewalt in Fußballstadien“ zurück, wie es jüngst Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe im Innenausschuss zeichnete. Denn die Statistik zeige: „Der Besuch eines Fußballstadions ist sicherer als je zuvor.“ Die Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze geben den Fans recht. Während die Be­su­che­r:in­nen­zah­len bundesweit steigen, sinkt die Zahl der Verletzten und eingeleiteten Verfahren – und das bei rückläufiger Polizeipräsenz. Weder im Olympiastadion noch in der Alten Försterei gibt es ein Problem mit Krawallen.

Repressive Maßnahmen

Dennoch stehen auf Vorschlag der niedersächsischen Innenministerin Daniela Behrens (SPD) auf der IMK verschärfte Sicherheitsmaßnahmen gegen Fußballfans zur Debatte. Diese reichen von personalisierten Eintrittskarten über KI-gestützte Gesichtserkennung, härteres Vorgehen in Sachen Pyrotechnik bis zur Einrichtung einer zentralen Stadionverbotskommission auf Bundesebene. Was bisher von Vereinen praktiziert wurde, soll dann grundsätzlich drohen: die Verbannung aus den Stadien, oft über mehrere Jahre, schon bei Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens – ohne Urteil.

Die Fans begreifen das als Bedrohung ihrer Fankultur. Die vorgeschlagenen Maßnahmen „zeugen von der Unkenntnis darüber, wie sicher es in unseren Stadien ist, und von der Ignoranz gegenüber dem kulturellen Wert einer lebendigen Vereins- und Fankultur“, heißt es in dem offenen Brief. Vor zwei Wochen demonstrierten Fans Dutzender Vereine gemeinsam in Leipzig, jeweils Hunderte Ultras von Union und Hertha liefen dabei direkt hintereinander.

Innensenatorin Iris Spranger hat in einem Statement auch gegenüber der taz nicht zu erkennen gegeben, wie sie sich in der Diskussion mit ihren Amts­kol­le­g:in­nen verhalten wird. Zwar schreibt sie: „Den weltweit Milliarden Fußballfans, die diese Leidenschaft leben, steht lediglich ein quantitativ vernachlässigbarer Bruchteil von Gewaltsuchenden gegenüber.“ Zugleich plädiert sie für „gezielte Maßnahmen gegen die wenigen Gewaltsuchenden“. Welche das sein sollen, etwa ob sie personalisierte Tickets dazu zählt, verriet Spranger nicht.

Die Vorschläge zeugen von wenig Wissen, wie Profifußball heute funktioniert

Dennis Buchner, SPD

Druck kommt derweil aus ihren eigenen Reihen. Der sportpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Dennis Buchner, sagt auf Anfrage der taz: „Die Vorschläge zeugen von wenig Wissen, wie Profifußball heute funktioniert.“ Das Paket schieße „mit zu scharfer Munition“ und sei gekennzeichnet von einem „Generalverdacht gegen Fußballfans“. Maßnahmen wie personalisierte Tickets, die Ausweiskontrollen an den Stadiontoren nach sich ziehen müssten, würden „für 99,9 Prozent der Fans das Stadionerlebnis verschlechtern“. Notwendig seien sie nicht: „In Berliner Stadien gibt es keine massiven Sicherheitsprobleme“, so Buchner.

Probleme gebe es heute vor allem bei der An- und Abreise. Hier würde laut Buchner ein Nachsteuern helfen: „Eine bessere Ausstattung für die Polizei in den Ländern und die Bundespolizei wäre eine echte Hilfe. Am Ende muss es darum gehen, Gewalt zu bekämpfen und nicht Fußballfans.“ Gleichwohl rechnet er nicht mit einer Verabschiedung des gesamten Pakets, denn die Innenministerkonferenz kann Beschlüsse nur einstimmig fassen.

Auch aus der Opposition wird Druck auf die Senatorin aufgebaut: „Wir erwarten ein klares Nein aus Berlin“, sagt der Grünen-Fraktionsvorsitzende Werner Graf und verweist auf den Schutz von Grundrechten. Er sagt: „Die geplanten Maßnahmen wie personalisierte Tickets, umfassende Überwachung und pauschale Stadionverbote treffen nicht die wenigen, die Probleme machen. Sie treffen die große Mehrheit friedlicher Fans.“

Klare Worte kommen auch vom Präsidium von Hertha BSC: „Unsere Stadien sind sichere Orte. Sie sind es, weil Fans, Vereine, Mitarbeitende und Fanprojekte verantwortungsbewusst, professionell und mit großem Einsatz zusammenarbeiten.“ Sicherheit entstehe „durch Dialog, nicht durch Entscheidungen über die Köpfe der Beteiligten hinweg“. Doch die Frage bleibt: Welchen Weg wählt Frau Spranger?

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