piwik no script img

Maßnahmen gegen CoronaSchweden rüstet sich für den Herbst

In Schweden soll es bei lokalen Infektionsausbrüchen auch Maßnahmen geben, die bislang als unnötig galten. Doch Freiwilligkeit soll weiter gelten.

Mit Maske, ohne Maske? In Stockholm tragen im April wenige Menschen eine Foto: Ali Lorestani/imago

Tällang taz | Lokale Restriktionen im öffentlichen Nahverkehr, umfassende Verbote öffentlicher Versammlungen, Aufforderung zum Tragen von Mund- und Nasenschutz. Das sind Beispiele von Maßnahmen, die Schwedens Gesundheitsbehörde einführen will, sollte es in den kommenden Monaten zu lokalen Corona-Ausbrüchen im Land kommen. Bislang hielt Schweden solche Einschränkungen nicht für erforderlich.

Noch ist die Lage entspannt. Im Gegensatz zu den ersten Coronamonaten liegt das Land bei Neuinfektionen nun nicht mehr mit an der Spitze, sondern im Mittelfeld, erklärte Sozialministerin Lena Hallengren vor der Presse: „19 europäische Länder haben nun eine höhere Infektionszahl pro 100.000 Einwohner als wir.“ Allerdings wolle man vorbereitet sein, sollten lokale Infektionsherde aufflammen: „Wir wollen dann bessere Möglichkeit haben, sofort reagieren zu können.“

So wolle man beispielsweise die praktischen und rechtlichen Voraussetzungen verbessern, damit im Falle der Infektion einer Person in einem Haushalt auch andere Haushaltsangehörige während einer Quarantänezeit zu Hause bleiben könnten, ohne dadurch wirtschaftliche Nachteile, wie Lohneinbußen befürchten zu müssen. Außerdem wolle man solche häusliche Quarantäne gegebenenfalls zur Pflicht machen können.

Abgesehen von solchen lokalen und regionalen Restriktionen will Schweden an seiner generellen Linie der Freiwilligkeit festhalten, betonte der Staatsepidemiologe Anders Tegnell. Nach Auffassung seiner Behörde bewähre sich Freiwilligkeit langfristig besser als erzwungene Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Schweden bekommt Lob von der WHO

In dieser Einschätzung erhielt Schweden in der vergangenen Woche auch Unterstützung seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO. David Nabarro, WHO-Sondergesandter für Covid-19 bezeichnete in einem Rundfunkinterview Schweden als Vorbild, wie man ohne umfassenden Lockdown und mit einem breiten Konsens von Öffentlichkeit, Behörden und Regierung eine Pandemie langfristig handhaben könne.

Das Problem Schwedens seien die Altenpflegeeinrichtungen gewesen, in denen die Mehrzahl schwedischer Covid-19-Todesfälle zu beklagen war. Seit man diese Einrichtungen nun endlich besser in den Griff bekommen und die Todesrate sich auf Einzelfälle reduziert hat, ist auch die innerschwedische Kritik an der Strategie von Gesundheitsbehörde und Regierung leiser geworden.

Ein verbliebener Streitpunkt ist vor allem die Frage des Gebrauchs von Masken. Drei Forscher der norwegischen Gesundheitsbehörde „Folkhelseinstituttet“ bekräftigten am Dienstag im Rahmen einer Auswertung aktueller Forschungsergebnisse ihre Skepsis zum Maskengebrauch.

Bei einer relativ geringen Verbreitung des Virus in der Gesamtbevölkerung seien Masken wenig effektiv, Abstand halten sei wichtiger als die Maske. Bei lokalen Corona-Ausbrüchen könnten Masken allerdings eine „gewisse Signalwirkung“ entfalten, meint ­Tegnell. Deshalb habe man sie nun „in den Werkzeugkasten möglicher Coronamaßnahmen gelegt“.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • „Bei einer relativ geringen Verbreitung des Virus in der Gesamtbevölkerung seien Masken wenig effektiv, Abstand halten sei wichtiger als die Maske.“ Da ist viel wahres dran: Maske nützen nur bei konkreter Ansteckungsgefahr. Wenn aber nur ein Mensch von 100.000 (wie z.B. in Mecklenburg) infektiös ist, dann schaden Masken mehr als sie nutzen können. Abstand ist der einzig wahre Grund für niedrige Infektionszahlen. Bevölkerungsgruppen oder Länder in denen die Mentalität viel körperliche Nähe bedeutet, haben trotz Masken hohe Infektionszahlen.

  • 1G
    15610 (Profil gelöscht)

    Ein guter sachlicher Artikel, der sich wohlweißlich jeder Beurteilung enthält und es einigen Kommentaren überläßt mit Fehlanalysen und moralischer Überheblichkeit zu glänzen.

  • Ob der schwedische Weg nun am Ende in bestimmten Bereichen besser oder schlechter abschneidet als andere, die zum Beispiel wie Spanien auf einen rigorosen Lockdown gesetzt haben, wird man nur abschließend bewerten können. Einige Ländern mit



    striktem Lockdown stehen zumindest in vielen Bereichen schlechter da.

    Generell finde ich aber immer noch eine Politik, die auf Vertrauen in die Bevölkerung setzt und durchaus auch von Vielen mit Eigenverantwortung und Vernunft ohne Zwang getragen wird, sehr sympathisch. Die Zahlen, wieviel weniger öffentliche Bewegung es in Stockholm ohne gesetzliche Vorschriften gab und beispielsweise auch die schwedische Impfquote, finde ich beeindruckend und für unser Land unvorstellbar.

    Das wir Deutschen aber natürlich wieder alles besser machen und das auch schon vorher gewußt haben, konnte man ja vor Monaten in nicht wenigen Artikeln lesen. Auch hier.

  • Von Schweden lernen...

    Zitat: „Noch ist die Lage entspannt. Im Gegensatz zu den ersten Coronamonaten liegt das Land bei Neuinfektionen nun nicht mehr mit an der Spitze“

    Dies gilt v. a. für die wirklich relevanten Indikatoren, die Hospitalisierungs- und Letalitätsraten. Die Mortalitätskurve ist seit Anfang Juni wieder nahezu identisch mit dem Jahresdurchschnitt 2015 - 2019 und liegt seit Ende Juni gar darunter.

    Ein Infektionskurven-Vergleich zwischen Schweden einerseits und Ländern mit besonders rabiaten und teilweise manu militari durchgesetzten Schrotflinten-Lockdown wie Frankreich, Spanien, Italien und Belgien andererseits ergab schon lange keinen signifikanten Unterschiede im Eindämmungseffekt. Im Letalitäsratenvergleich schneidet Schweden sogar noch günstiger ab als die genannten Länder. Dabei immer wieder auf die besseren Zahlen in Deutschland herumzuhacken, ist reines Cherry-Picking der Hardcore-Lockdowner. Dies bestätigt die Sicht von Prof. Johan Giesecke, dem Nestor der schwedischen Epidemiologie und WHO-Berater. Auf die Frage, ob „der Kampf gegen die Ausbreitung des Virus hoffnungslos verloren“ sei, lautet seine Antwort: „Ja. Dieses Virus wird sich ausbreiten. Es spielt kaum eine Rolle, was die Länder tun.“ Die einzig wirksamen Maßnahmen mit wissenschaftlicher Evidenz seien s. E. die klassischen elementaren Hygiene-Regeln Händewaschen und seinen Mitmenschen nicht zu nah auf die Pelle rücken.



    Sogar Prof. Ferguson (Imperial College London), Spiritus Rector des globalen Schrotflinten-Lockdowns („Mr. Lockdown“), war perplex über die schwedischen Zahlen. Seine Modelle hatten bei der „Mitigation“-Strategie, also ohne Lockdown, für Schweden 90 000 Tote prophezeit, was sich als Hirngespinst erwies. Vor dem Parlaments-Ausschuss des Unterhauses zeigte er sich obdessen ratlos. Er habe keine Erklärung dafür und «den grössten Respekt». Man könne also auch bei gleichem wissenschaftliche Erkenntnisstand zu einer anderen politischen Schlussfolgerung kommen, so Ferguso

  • Das Spannende ist ja, dass die Schweden viel besser da stehen wie die Länder mit den heftigsten Massnahmen (an erster Stelle Peru, auch Belgien, Frankreich, Spanien, Italien etc.). Normalerweise müssten dort massive Sterbezahlen vorliegen, wenn man den Kassandrarufen Glauben schenkt bzw. geschenkt hätte. In all diesen Ländern mit Lockdown, Ausgangsbeschränkungen etc. sieht man inzwischen ein düsteres Bild (abermals steigende Inf.-Zahlen, höhere Todesraten). Eine paradoxe Situation. Oder auch die logische Konsequenz von "Flattening the curve", denn wenn man eine Welle platt drückt, ist sie nicht so hoch, aber dafür länger und man nimmt evtl. häufigere kleinere Ausbrüche hier und dort in Kauf (wegen Nicht-Erreichen der Herdenimmunität, die nach neueren Erkenntnissen nicht bei ca. 60%, sondern bei ca. 20% liegt). Alles Erkenntnisse, die aufzeigen, dass krasse Lockdown-Massnahmen a) wenig bis nichts bringen und b) möglicherweise das Problem erst befeuern.

  • Was wurde der schwedische Weg nicht von den meisten schlecht geredet und verunglimpft, auch von der Taz.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Bei 23 Einwohnern pro km2 ist Abstandhalten leicht. Halb soviel wie in Mecklenburg.



    Überbevölkerung tötet.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Rund 40% der schwedischen Bevölkerung lebt in den Metropolregionen von Stockholm, Malmö und Göteborg. Fast ein Viertel aller Schweden wohnt in Stockholm und angrenzenden Gemeinden.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Schnurzelpu: Das ist zu einfach, auch in Schweden gab es Hotspots in den größeren Städten. Und vor allem - wie hier auch - Probleme in den Altenheimen. Und was ist mit Peru? Die halten die Rekord mit Covid-19-Todesfällen pro 100.000 Einwohnern - trotz massivster Einschränkungen und niedriger Bevölkerungsdichte!

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Ökologe:

        25% der Peruaner wohnen in Lima. Mit 3200 Menschen pro km2 und ziemlich dünner Luft. Atemwegserkrankungen in Höhenlagen , ist nicht lustig.

  • Gut dass es das Beispiel Schweden gibt um zu zeigen dass auch andere Wege erfolgreich sein könne im Kampf gegen das Virus.

    Schweden gehört in der Konsequenz auch nicht zu den Risikogebieten.

    • @Argonaut:

      Wenn man die ältere Bevölkerung opfert, gibt es viele Möglichkeiten wie man mit Covid-19 umgehen kann.

      Die Todesfälle pro 100.000 Einwohner sind im dünn besiedelten Schweden gegenüber dem wesentlich dichter besiedelten Deutschland bereits sehr hoch. Wenn man das aber mit den Nachbarländern Norwegen und Finnland vergleicht, die eine vergleichbare Besiedelungsdichte haben, dann sieht man, wie schlecht die Schweden regiert haben (ca. 10x so viele Todesfälle).

      • @Martin74:

        Schauen wir uns die Zahlen einfach in 10 Jahren an und vergleichen dann. Erst das wird interessant.

        Infektionen lassen sich derzeit nicht vermeiden, sondern nur hinauszögern, damit die Systeme nicht zusammen brechen. Das ist auch in D nicht anders.

        • 4G
          4813 (Profil gelöscht)
          @Hanne:

          Hinauszuzögern bis es eine Impfung gibt. Ja, das ist der Plan. Eine Durchseuchung kann man bei geringer Bevölkerungsdichte riskieren, weil die langsamer läuft als in überbevölkerten Ländern. Schweden hat ein Luxusproblem und die Schweden sind den Älteren nicht so emotional verbunden.

  • Ach die Schweden - wir müssen dankbar sein, dass sie standgehalten haben und so die wissenschaftliche Basis für eine echte Kontrollgruppe bilden können - wenn es denn überhaupt um Erkenntnis und nicht um Rechthaben geht. Wie schlimm wurden sie angegangen von Politik und Presse. Ihre Abwägugungen und Entscheidungen sowie ihre Kommunikation gegenüber der Bevölkerung scheinen von Vernunft, Weitblick und Augenmaß getragen, der zeitlich und in Bezug auf die Kollateralschäden in einer vernünftigen Relation steht.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Bea:

      Die Wirtschaft ist in Schweden auch eingebrochen nur mit mehr Toten. Generell macht Schweden nicht viel anders sie setzen halt auf Freiwilligkeit das kann man machen ich halte nichts davon. Aber viele Schweden sind im home Office und muss man auch sagen die haben schon vor corona mehr Hände gewaschen als Amerikaner und Deutsche das hilft.

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @Bea:

      Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.