Massenschlachtung von Nerzen wegen Corona: Mutationen breiten sich aus
Dänemark tötet 17 Millionen Nerze, nachdem eine Mutation des Coronavirus auf Menschen übergegangen ist. Die neue Variante ist bereits im Umlauf.
Gleichzeitig wächst die Kritik an der Regierung, die letzte Woche die Tötung des Zuchtnerzbestands und die Verhängung einer Quarantäne über Teile Nordjütlands anordnete. Ist das übertriebener Alarmismus auf zweifelhafter wissenschaftlicher Grundlage? Oder hat man im Gegenteil zu lange gewartet? Die Handhabung der Krise sei jedenfalls ein „Skandal“, meint die Tageszeitung Politiken. „Die härteste bisherige Prüfung für die Coronastrategie der Regierung“ sieht Børsen.
Während die Niederlanden nach ersten Infektionen alle befallenen Bestände sofort tötete, hatten die Behörden in Dänemark nur anfänglich schnell agiert. Im Juni waren die ersten mit Corona infizierten Nerzbestände sofort geschlachtet worden.
Am 7. Juli kam der Schwenk: Man hoffte, mit umfangreichen Tests und Schutzmaßnahmen eine weitere Ausbreitung stoppen zu können. Und obwohl das staatliche Serum-Institut ab August täglich weitere Farmen mit Infektionen meldeten, geschah einige Wochen nichts. Am 1. Oktober kehrte man zur ursprünglichen Strategie zurück und ließ die Tiere in allen befallenen Beständen vergasen. Erst einen weiteren Monat später die Radikallösung: die Tötung aller Nerze.
Impfstoffe könnten weniger Wirkung zeigen
„Die Regierung betonte bei Corona immer das Vorsichtigkeitsprinzip, nur ausgerechnet bei den Nerzen nicht“, wundert sich Peder Hvelplund, gesundheitspolitischer Sprecher der linken „Einheitsliste“: Hätten da Rücksicht auf ökonomische Interessen und sozialdemokratische Stammwähler eine Rolle gespielt? Auch Hans Jørn Kolmos, Professor für klinische Mikrobiologie, kritisiert: Man habe erstaunlich lange zugesehen.
Die Gefahr, dass die in Dänemark bei bislang 12 Menschen konstatierte „Cluster 5“-Mutation künftige Impfstoffe weniger wirksam machen könnte, sei weitgehend unerforscht und „noch nicht gut verstanden“, warnt die WHO. Eine einzelne Mutation habe geringe Bedeutung, „da muss es schon viele geben, damit künftige Impfstoffe scheitern“, meint Professor Ali Salanti, Mitglied eines Teams, das an der Uni Kopenhagen gerade einen Corona-Impfstoff entwickelt.
„Verschiedene Coronastämme können entstehen“, vermutet auch der Immunologie-Professor Jan Pravsgaard Christensen. Aber darauf könne man einmal genehmigte Impfstoffe dann jeweils anpassen. Das geschehe schon bei den jährlichen Grippeschutzimpfungen, und jährliche Impfungen werde es auch bei Sars-CoV-2 geben müssen.
Die Entscheidung, den gesamten dänischen Bestand zu schlachten, sei jedenfalls sinnvoll, meint Immunologe Christensen. Die Massentierhaltung von Nerzen stelle ein ständiges Corona-Infektionsrisiko dar. Kolmos bezweifelt aber, ob die verhängte Quarantäne die Ausbreitung von „Cluster 5“ noch verhindern kann. Wahrscheinlich habe sich die Mutation bereits über Dänemark hinaus verbreitet. Die rund 6.000 Beschäftigten in den Pelzfarmen wurden in den letzten Monaten nicht systematisch getestet und konnten unbehindert reisen. Rund die Hälfte kommt aus Osteuropa.
Hans Kluge, Europa-Regionalchef der WHO, unterstützt den Beschluss Kopenhagens: „Es ist besser ‚safe than sorry‘ zu sein.“ Die mit solcher Pelztierzucht verbundenen Tierquälerei solle schon aus Gründen der Volksgesundheit nun in allen europäischen Ländern verboten werden, fordert die dänische Tierschutzorganisation Dyrenes Beskyttelse. Während Großbritannien ein Einreiseverbot für Reisende aus Dänemark bereits am Freitagnachmittag beschlossen hatte und am Sonntag verschärfte, kündigte Norwegens Gesundheitsbehörde die Prüfung eines entsprechenden Schritts an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?