Massenproteste in Chile: Die Wut der verarmten Rentner
Das private Rentenversicherungssystem schafft in Chile Altersarmut. Dagegen gehen nun Hunderttausende auf die Straße und fordern eine Reform.
Egal wie viele letztlich wirklich demonstriert haben: Unter den Beitragszahlenden und RentnerInnen rumort es gewaltig. Eine staatliche Rentenversicherung gibt es nicht, und das private Rentenversicherungssystem ist ein profitables Geschäft für die beteiligten Unternehmen.
AFP steht für Administradoras de Fondos de Pensiones, Verwaltung der Pensionsfonds. Sechs Privatunternehmen verwalten die Renten der Beschäftigten, die monatlich rund zehn Prozent ihres Einkommens in einen von fünf Fonds einzahlen. Die Fonds sind mit Investmentfonds vergleichbar. Die Gelder werden in Wertpapieren angelegt, aus deren Renditen die Renten und Pensionen gezahlt werden. Gleichzeitig kassieren die Verwalter satte Gebühren.
Wählen können die Einzahlenden lediglich zwischen den spekulativen Risiken der fünf Fonds. Je höher das Risiko, desto höher später die Auszahlung, die bei dem Gros der Rentner jedoch monatlich 155.000 Pesos nicht übersteigt, umgerechnet knapp 220 Euro. Damit aber kommt auch in Chile niemand bis ans Monatsende. Pikanterweise verfügen Militär und Polizei über eine eigene Rentenversicherung, bei der deutlich mehr ausgezahlt wird.
Privatrentensystem unter Militärdiktatur geschaffen
„Nach 36 Jahren ist dieses System gescheitert und zusammengebrochen, es ist nicht dafür geschaffen, angemessene und würdige Renten zu zahlen. Es ist an der Zeit, die AFP abzuschaffen und eine soziale Absicherung zu fordern, die unsere Ältesten nicht dazu zwingt, sich in Supermärkten oder als Pförtner verdingen müssen“, sagt Luis Mesina vom Bündnis No+AFP.
Die AFP wurden während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet von dessen Arbeits- und Sozialminister, José Piñera, eingerichtet, dem älteren Bruder von Expräsident Sebastián Piñera. Versprochen wurden steigende Renditen, aus denen einmal bis zu 100 Prozent der Löhne und Gehälter als Rente weitergezahlt werden könnten. Das Versprechen blieb unerfüllt, aber die Einzahlenden haben keine Alternative. Das sorgt zunehmend für Frust und Wut.
Alle Versuche einer grundlegenden Reformierung sind bisher gescheitert. Bei ihrem Amtsantritt hatte Präsidentin Michelle Bachelet ebenfalls eine Reform versprochen. In zwei Monaten will sie ihren Vorschlag vorlegen. Schwer zu glauben, dass dies vor der im November anstehenden Präsidentschaftswahl noch viel Sinn ergibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter