Massenprotest in Rumänien: Präsident schließt Neuwahl aus
In Rumänien boykottieren die Sozialdemokraten eine regierungskritische Rede. Darin fordert Staatschef Johannis die Regierung zum Handeln auf.
Berlin taz | „Seid ihr schon müde? Dann habt ihr Pech gehabt.“ Diese zwei kurzen Sätze des rumänischen Staatschefs Klaus Johannis veranlassten die Abgeordneten der Sozialdemokraten (PSD), der stärksten Parlamentsfraktion, am Dienstag geschlossen den Sitzungssaal zu verlassen.
Nach den massiven Protestkundgebungen der letzten Tagen versuchte Johannis in einer als programmatisch eingestuften Rede im Parlament die Wogen zu glätten. Mit harten Worten kritisierte er die sozialdemokratisch-liberale Koalitionsregierung, deren erste Amtshandlung darin bestand, per Eilverordnung strafrechtlich belastete Politiker reinzuwaschen.
Dieses Vorgehen bezeichnete er als eine Aktion, die den Protest ausgelöst und die Revolte weiter Teile der Bevölkerung zur Folge gehabt habe. Er warf der Regierung vor, „nachts, im Geheimen“ und ohne „nötige Transparenz“ vorgegangen zu sein. Gleichzeitig eignete er sich die Forderung der Demonstranten nach einem Rücktritt der Regierung nicht an, sondern sprach bloß davon, dass die Entlassung des Justizministers nicht den Erwartungen der Kritiker der Exekutive entspräche. „Ihr verfügt über die Mehrheit“, sagte Johannis, „nun regiert auch.“
Mit anderen Worten: Johannis schließt Neuwahlen zum derzeitigen Zeitpunkt aus. Gleichzeitig wies er die Anschuldigungen der Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern, des Sozialdemokraten (PSD) Liviu Dragnea, und von Calin Popescu Tariceanu (Allianz der Liberalen und Demokraten – Alde) zurück. Sie hatten behauptet, er wolle die Regierung stürzen. Dragnea hatte suggeriert, die Demonstranten seien von dem jüdischstämmigen amerikanischen Milliardär George Soros bezahlt worden, um die Regierung zu stürzen.
Johannis hatte nach den ersten Massendemonstrationen vorgeschlagen, ein Referendum durchzuführen. Die Wähler sollten für oder gegen die Fortsetzung der Antikorruptionsmaßnahmen stimmen.
„Wir wünschen uns, dass es Rumänien gut geht, aber wir befinden uns in einer Krise“, sagte Johannis. Hunderttausende protestierten, die Nation sei unzufrieden. Um diese Aussage zu unterstreichen, zitierte er eine Umfrage. Danach sind 80 Prozent der Meinung, dass sich Rumänien „in eine falsche Richtung bewegt“.
Leser*innenkommentare
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Gast
Silviu Mihai (der auch für taz schreibt) schildert die Konfrontation in Rumänien als politisch und räumt gewisse Parteilichkeit der Staatsanwaltschaft ein.
Interessant ist jedoch was er über die Demonstranten schreibt:
"Sie hassen die PSD und alles, für das diese Partei steht: Die Seilschaften in der Kommunalpolitik, die bornierten Verlierer der wirtschaftlichen Transformation, den Muff der elenden Dörfer und verschlafenen Kleinstädte, die sich seit der Wende nie erholt haben."
http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/rumaenien-proteste-korruption-korruptionsbekaempfung-laura-koevesi
Letztendlich ist es ein ähnliches Szenario wie in Polen: für irgendwelche Gruppen nichtkonforme Partei gewinnt die Wahlen und schnell werden Proteste organisiert, die die "Gewinner" des Transformationsprozesses hinter sich versammeln. Grund? Egal, es findet sich immer einer.
10236 (Profil gelöscht)
Gast
"Silviu Mihai (der auch für taz schreibt)"
Sorry, Silviu Mihai schreibt auch für den "Freitag".
Zwei linke Blätter und schon kommt man durcheinander... ;)
Ataraxia
Europa findet gerade in Rumänien statt; der Aufstand ist enorm inspirierend, der Grad der Beteiligung unglaublich.
Die Demokraten dort brauchen Methoden, wie der Protest effektiver werden kann. Masse allein tuts nicht; die Menschen müssen sich auch langfristig in Gruppen und Projekten organisieren, nicht unbedingt in schwerfällig operierenden Parteien. Der Pariser Mai '68 liefert wichtige Lehren, auch das Schicksal der Massendemonstrationen in Bukarest, als nach dem Tod von Ceaucescu die zweite Reihe mit Iliescu und Co. die Macht übernommen hatte.
PS. Auch während der Revolution der Würde in der Ukraine hatten angeblich ausländische Agenten die Demonstranten bezahlt. Wenns nicht der CIA gewesen ist, war es Soros. Die alten Kommunisten, die jetzt als P(T)SD figurieren, haben nichts gelernt und machen sich mit solchen Anschuldigungen lächerlich. Die gebildete Mittelschicht Rumäniens kann eigenständig denken und handeln, die korrupten Politiker verlassen sich lieber auf das Bildzeitungsniveau ihrer Wähler.
Womit wir wieder bei einem grundsätzlichen Problem der Demokratie im Jahr 2017
angelangt worden wären.