Maskenpflicht auf Berliner Demos: Vermummungsgebot vs Maskenpflicht
Bei Demos mit über 100 Menschen muss künftig ein Mund-Nase-Schutz getragen werden. Doch wie sollen dann die bösen Hausbesetzer erkannt werden?
Der Witz geht folgendermaßen: 35 Jahre lang ließen gesetzestreue Bürger*innen ihre liebevoll handgehäkelten Masken, Schals und alle anderen, der widerrechtlichen Vermummung des eigenen Gesichtes dienliche Objekte daheim, wenn sie ihrem verfassungsmäßig verbrieften Recht zum Aufzug unter freiem Himmel nachgingen. Jetzt aber sollen sie zumindest in der Bundeshauptstadt in genau diesem Falle unbedingt maskiert antreten. Österreichische Verhältnisse also: Burkaverbot, aber Maskenpflicht? Pfff. Fehlen nur noch der Zwillenmitführungszwang und die Pflastersteinpflicht.
Nun hat das alles natürlich seinen guten Grund. Die gewollten Provokationen der Protestierenden vom vergangenen Wochenende haben schließlich nicht nur die weitreichende Akzeptanz für Nazisymbolik und -praxis in diesem Spektrum illustriert. Auch das offensiv unsolidarische Verhalten der Verweigerung selbst niedrigschwelligster Infektionsschutzmaßnahmen feierte fröhliche Urständ auf Berlins Straßen.
Das möchte man doch auf gar keinen Fall vor der Haustür haben. „Man“ ist in diesem Falle eine große Bevölkerungsmehrheit, die ohne Begeisterung vielleicht, aber doch mindestens mit einem Rest an Verantwortungsbewusstsein und Gemeinschaftssinn versucht, einigermaßen rücksichtsvoll miteinander umzugehen. Von alleine funktioniert das anscheinend nicht bei allen, da muss erst der Berliner Innensenator Andreas Geisel kommen und Nachhilfe leisten.
Und so darf nun bei mehr als hundert Personen nur noch mit Mund-Nasen-Schutz demonstriert werden. Die nächste Hausbesetzerkundgebung braucht also nur ein paar Dutzende Teilnehmer*innen, um unter das Vermummungsgebot zu fallen. Und wenn trotzdem nicht genug Leute vorbeikommen, einfach Gesänge oder rhythmisches Gebrüll anstimmen. Dann gilt die Maskenpflicht nämlich auch bei weniger Publikum.
Schwierig wird es dann natürlich mit der Identifikation von Personen, die „aus einer Versammlung heraus Straftaten begehen“. Es kann also nicht mehr lange dauern, da wird mindestens eine der sogenannten Polizeigewerkschaften eine Kennzeichnungspflicht für die Teilnehmer*innen von Demonstrationen verlangen. Wenn schon ein generelles Versammlungsverbot, oder wenigstens eines für Linke, nicht dauerhaft durchsetzbar ist. Gleichbehandlung halt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen