Martin Reeh über den SPD-Wahlkampf: Versucht Schulz zu wählen!
Die SPD ist die traditionsreichste deutsche Partei, und zum schlechten Teil ihrer Traditionen gehört, dass sie verzagt ist, wenn sie mutig voranschreiten müsste. Vor allem deshalb hat die Union wieder Oberwasser im Wahlkampf. Gleich am Tag nach der Saarland-Wahl beerdigte die SPD Rot-Rot-Grün und spekulierte über ein Bündnis mit den Liberalen, womit das Wahlkampfthema Gerechtigkeit und die anvisierte Koalition nicht mehr zusammenpassten.
Jetzt haben CDU und FDP den Sozialdemokraten einen Steuerwahlkampf aufgedrückt. Der SPD fehlt dagegen ein großes Wahlkampfthema, ihre Ideen umfassen ein paar kleine Steuer- und Sozialabgabenerleichterungen. Nichts, was verschreckt, aber auch nichts, was mobilisiert.
Manche interpretieren das als vernünftige Reaktion auf die deutsche Sehnsucht nach Stabilität. In dieser Sichtweise tickt Deutschland einfach anders: Während weltweit die Mutigen jeglicher Richtung wie Macron, May oder Sanders gewinnen, braucht das reiche Deutschland Kanzler, die ihm suggerieren, bis auf ein paar Steuersenkungen werde alles immer so weitergehen. Dieses Deutschland aber, das ist der Haken für die SPD, hat seine Kanzlerin schon gefunden. Sie heißt Angela Merkel.
Vieles erinnert in diesem Wahlkampf an 1994. Der scheinbar unbesiegbare Kanzler hieß damals Helmut Kohl, der zaghafte Herausforderer Rudolf Scharping. Die Satirezeitschrift Titanic karikierte die SPDler damals in der Comicserie „Die roten Strolche“. Die Sozis mit „Ziege“ Scharping traten darin als Waldtiere auf, die stets vergeblich versuchten, den allmächtigen Oberförster Helmut Kohl zu besiegen. „Vielleicht wird einiges besser mit Ziege“, stand auf ihren Wahlplakaten oder „Versucht Ziege zu wählen“.
1994 gewann, natürlich, Kohl. Noch sind die Wahlplakate für die SPD nicht gedruckt. Ob sie im Willy-Brandt-Haus noch darauf kommen, dass „Vielleicht wird einiges besser mit Schulz“ kein gutes Motto ist?
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