Marsch durch die Bildungsinstitutionen: Von der Sonderschule zum Abitur

An der Otto-Hahn-Schule in Jenfeld legen derzeit 171 Schüler ihre Reifeprüfung ab. Darunter auch ein ehemaliger Förderschüler: Prince Kuhlmann.

Getrennte Wege, ein Ziel: Prince und Imad machen beide Abitur. Bild: Kaija Kutter

HAMBURG taz | Prince Kuhlmann hat gerade Zentralabitur in Englisch geschrieben. Der 22-Jährige überlegt, welches Fach er demnächst studiert. Auch sein Freund Imad Amekugee, 20, will an die Universität. Sie sind zwei von 171, die in diesen Tagen an der Jenfelder Otto-Hahn-Stadtteilschule das Abitur machen. Noch vor ein paar Jahren wäre eben das für sie „nur ein Traum“ gewesen.

Princes Eltern sind Ghanaer, er ist in Deutschland geboren und in Rahlstedt aufgewachsen. Als er mit der Grundschule fertig war, schickten ihn die Lehrer jedoch auf eine Förderschule ins entfernte Hamm. Während seine Freunde aufs Gymnasium oder die Otto-Hahn Schule gingen, musste er jeden Morgen mit dem Bus fahren. „Ich war lernschwach“, sagt er. „Ich hab länger gebraucht als andere.“ Seine Mutter wehrte sich gegen die Sonderschule, stritt Monate lang mit den Behörden – vergeblich.

Auch Imad sollte eigentlich auf die Sonderschule. „Ich war als Kind sehr wild, wollte lieber spielen“, erinnert er sich. Schon die Vorschule musste er wiederholen. Und während er mit zehn Jahren beim Musical „König der Löwen“ die Rolle des jungen Simba spielte, rutschte er in der 5. Klasse in allen Hauptfächern auf Note fünf ab. Sogar in Englisch, das seine in Ghana geborenen Eltern sprachen. Auch seine Mutter kämpfte: Sie ging mit dem Jungen zur Behörde. „Ich hab’ dem Beamten gesagt, bitte geben sie mir eine Chance“, sagt Imad. Und er bekam sie.

Währenddessen saß Prince mit 13 Schülern in einer gemischten Klasse 6 bis 9 der Sonderschule. „Geholfen hat mir das nicht. Ich war vom Stoff her viel zu wenig gefordert.“ In der 6. Klasse sah er einen Film, in dem ein Junge in zehn Wochen den High-School-Abschluss macht. Seither war das Abitur eine ferne Idee. Nach Klasse 9 verließ er die Schule ohne Abschluss. Er brauchte ein Jahr auf einer Gastronomieschule und zwei weitere auf einer Gesundheitsschule, bis er die Mittlere Reife in der Tasche hatte.

Auch Imads Lernweg war nicht gradlinig. Er schrieb schlechte Noten, hätte nach Klasse 9 die Schule beinahe ohne Abschluss verlassen – wäre nicht seine Mutter eingeschritten. Also blieb er. Schließlich erlaubte ihm die Zeugniskonferenz, die 10. Klasse zu wiederholen: Man befand, der Junge könnte die Oberstufe erreichen.

Inzwischen haben die beiden mit vier anderen eine Lern-Clique gebildet, in der sie sich anspornen und helfen. Imad: „Wir hoffen auf einen guten Zweier-Schnitt“. Der Fall zeige, „wie wichtig Durchlässigkeit ist“, sagt Schulleiterin Renate Wiegandt. Sie ist stolz auf die hohe Zahl von Abiturienten: Nur 42 kamen in der 11. Klasse von anderen Schulen dazu, die restlichen 129 sind Eigengewächs. Den Übergang von der 10. in die 11. Klasse schafften 55 Prozent.

Dass die 1968 gegründete Schule überhaupt noch eine eigene Oberstufe hat, ist nicht selbstverständlich: Wegen geringer Schülerzahlen hatte der CDU-geführte Senat sie 2004 geschlossen. Zwei Jahre mussten die älteren Schüler zu einer Partnerschule bis nach Dulsberg pendeln.

Doch die Schule kämpfte, nicht nur mit Turnhallenbesetzung und Straßenprotest. Das Kollegium entwickelte ein „Förder- und Forderkonzept“, von dem Wiegandt zufolge schwächere und stärkere Schüler gleichermaßen profitierten. Die Schülerzahl stieg von 650 auf heute 1.500, der Bildungserfolg auch: 2006 hatte die Otto-Hahn-Schule ihre Oberstufe wieder. Dafür startete sie ein Pilotprojekt zur Aufnahme guter Realschüler, das inzwischen stadtweit gültig ist. Darüber gelang auch Prince Kuhlmann der Wiedereinstieg.

Seit 2010 gilt in Hamburg der Inklusions-Paragraf: Demnach muss kein Kind gegen den Willen seiner Eltern auf die Sonderschule. Doch er greift offiziell erst bis Klasse 7. „Vor zwei Jahren kam ein Zwölfjähriger weinend zu mir“, erinnert Prince. „Für ein Kind ist es schrecklich. Die Freunde denken, du bist dumm.“ Er sei mit dem Jungen zur Behörde gegangen, habe eine Chance für ihn erwirkt.

Um die Inklusion zu ermöglichen, schichtet die Otto-Hahn Schule Stunden von der Ober- in die Mittelstufe um. Die Klassen mit Kindern, die Lernförderbedarf haben, hat laut Wiegandt zu 75 bis 90 Prozent Doppelbesetzung. Rosig sei die Lage nicht. Für die Sprachförderung habe sie nur eine Stelle – bei 1.500 Kindern.

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