Marketing für Erneuerbare: Kann Strom vegan sein?
Ein Berliner Unternehmen wirbt für einen Energietarif gegen Tierleid, bei dem es nur Solarstrom verkauft. Doch einige Fragen bleiben offen.
Berlin | taz | Eine blutverschmierte Steckdose. Auch Ökostrom töte, liest man darunter. Der Berliner Stromanbieter Greenstone spart nicht an dramatischen Bildern, um seinen Stromtarif „Veganstrom“ zu illustrieren. Das Blutvergießen steht freilich für die Konkurrenzfirmen auf dem (Öko-)Strommarkt.
Für das eigene Produkt ist eine Steckdose abgebildet, aus der Blumen wachsen. Der Slogan hier: „Mit Veganstrom gegen Tierleid“. Dass Greenstone Energy auf den markigen Stil der Tierrechtsorganisation Peta zurückgreift, ist dabei kein Zufall, denn die ist Kooperationspartner.
Es ist ein außergewöhnliches Angebot, denn weder Strom noch Kraftwerke enthalten eigentlich tierische Produkte. Was meint das Unternehmen also dann? Vorweg: Die Blümchen auf dem Werbebild leiten etwas in die Irre. Denn Bioenergie ist in dem Strommix der besagten Marke explizit ausgeschlossen. Wie übrigens fast alles andere auch. Allein Photovoltaik, Geothermie und Gezeitenkraft betrachtet der Anbieter als vegan.
Seine Beweggründe erläutert er präzise. Endliche Energiequellen wie Braunkohle und Steinkohle, Erdöl und Erdgas sowie Atomkraft seien „ein absolutes No-Go“. Auch Windenergieanlagen verbanne man, weil daran Vögel und Fledermäuse ums Leben kämen. In den Turbinen von Laufwasserkraftwerken könnten Fische tödlich verletzt werden, Speicherwasserkraftwerke wiederum überfluteten Landschaften auf Kosten wertvoller Lebensräume.
Tiere leiden auch unter Solarstrom
Und dann die Biomasse. Die ist zwar oft pflanzlicher Natur, aber in der Praxis ist die Trennung zwischen tierisch und pflanzlich schwer – also raus damit aus dem „veganen“ Strommix. Bei Biomasse, so ist bei Greenstone Energy zu lesen, handle es sich „häufig um Gülle oder andere Reste aus der Fleischindustrie, die enormes Tierleid verursacht“.
Damit bleiben Fragen. Erstens leiden streng genommen auch unter Solarstrom Tiere, wenn man die gesamte Produktionskette betrachtet – denn die Gewinnung nötiger Rohstoffe in Tagebauen zerstört Lebensraum. Aber davon abgesehen: Kann es funktionieren, allein mit Sonne und den Nischenenergien Geothermie und Gezeiten Stromkunden zu versorgen?
Die beiden letzteren Energiequellen liefern derzeit schließlich nur marginale Strommengen. Die Stromerzeugung aus Geothermie zum Beispiel erreicht aktuell in Deutschland trotz vielfältiger Projekte – wovon einige zum Teil grandios scheiterten – lediglich einen Anteil von 0,03 Prozent am Strommix.
Auch Gezeitenkraftwerke gibt es in Europa kaum. In der Bretagne läuft seit 1967 der Klassiker, ein Kraftwerk an der Mündung des Flusses Rance. Darüber hinaus gibt es nur ein paar neuere und kleinere Projekte, die Gezeitenströmungen nutzen. Diese erzeugten 2019 in ganz Europa gerade 49 Millionen Kilowattstunden – das schafft auch eine einzige Offshore-Windturbine neuester Bauart.
Eigene Anlagen besitzt Greenstone Energy ohnehin nicht, sondern kauft Stromerzeugern die nötigen Strommengen ab. Und zwar bislang, so räumt Firmengründer und -chef Erik Oldekop auf Anfrage ein, ausschließlich Solarstrom. Die beiden anderen Quellen seien als Optionen zu verstehen.
Wie gelingt Versorgung auch nachts?
Doch wie gelingt einem Ökostromer, der nur Solarstrom liefert, die Versorgung auch nachts, wenn die Sonne nicht scheint? Es sind die Regularien des Strommarktes, die das ermöglichen. Denn Versorger können von Ökostromerzeugern sogenannte Herkunftsnachweise (HKN) erwerben. Mit diesen können sie ihren Strom dann entsprechend grün deklarieren.
Greenstone Energy betont, man erwerbe für die volle Anzahl der verkauften Kilowattstunden HKN von Solarstromanlagen in Südeuropa und könne diese dann auch für Stromlieferungen zur Nachtzeit anrechnen. Möglich ist das, weil der Strommarkt immer zwei Ebenen hat: Die physische und die kaufmännische.
Und eigentlich sogar noch eine dritte, die formale. Damit kann sich bei Greenstone Energy der „vegane“ Mix in der gesetzlich vorgeschriebenen Strommix-Deklaration nicht einmal widerspiegeln. Denn jeder Versorger bekommt zwingend die nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) geförderten Ökostrommengen anteilsmäßig zugewiesen. Folglich muss auch das Berliner Unternehmen in seinem Mix aktuell 55,6 Prozent EEG-Strom ausweisen – also den ungeliebten Strom aus Wind, Wasserkraft und Biomasse.
Spezielle Strommarke für spezielle Gruppen
Hinter dem „veganen“ Strom steckt die Greenstone Energy GmbH, ein IT-Unternehmen mit Sitz im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Es beschreibt seine Tätigkeit wie folgt: „Entwicklung, Implementierung, Produktion und Vertrieb von Software sowie Hardware für die Energiewirtschaft“, außerdem deren Anwendung „in allen Wertschöpfungsstufen der Energiewirtschaft“. Das Unternehmen betont, es verfüge über eine „revolutionäre, eigenentwickelte Softwareplattform, auf der dezentrale Erzeugung sowie dezentraler Verbrauch gebündelt wird“.
Firmenchef Oldekop sieht im deutschen Markt nicht einfach 40 Millionen Haushalte, sondern eine Vielzahl spezifischer Gruppen, die mit einer jeweils speziellen Strommarke bedient werden könnten. Der Physiker und Wirtschaftsingenieur setzt daher im Endkundengeschäft mit Strom auf eine Mehrmarkenstrategie, die ihm bisher „eine vierstellige Kundenzahl“ beschert habe. Neben seinem Angebot für Veganer gibt – beziehungsweise gab – es aus seinem Hause bereits weitere Strommarken: eine speziell für Migranten, eine für Auswärtige, die zeitweise in Deutschland arbeiten, hier erfolgt die gesamte Kommunikation auf Englisch.
Die spezifische Ansprache scharf definierter Zielgruppen erlaube es, die Kosten der Kundenakquise deutlich zu senken, betont Oldekop. Das funktioniere vor allem dann, wenn Kooperationspartner bei ihrer Klientel für das Angebot werben – wie beim „Veganstrom“ eben Peta. Die durch drastische Kampagnen bekannte Organisation schreibt: „Stromtarif rettet zahlreiche Wildtiere vor qualvollem Tod“.
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