Mario Gomez' Klage über aberkannte Tore: Schwäbische Schwere

Das Spiel von Mario Gomez umweht eine gewisse Vergeblichkeit. Hat das mit seiner baden-württembergischen Herkunft zu tun?

Mario Gomez mit unglücklicher Miene

Auf der Suche nach Unbeschwertheit: Mario Gomez hat derzeit nicht viel zu lachen Foto: dpa

Schon immer, scheint mir, umweht eine gewisse melancholische Vergeblichkeit das Spiel von Mario Gomez. Selbst seine Torjubel haben etwas Verdruckstes. Es wirkt so ausgedacht: dieser Torero-Move als Reminiszenz an seine spanischen Vorfahren, aber völlig pflichtschuldig vorgetragen, leblos fast. Wie wenn jemand immerzu sagen muss, er freue sich, obwohl er seit Jahren nicht mehr gelacht hat.

Wobei, ich meine mich zu erinnern, dass das ganz zu Anfang anders war, als er wunderknabensam und ungestüm durch Viererketten preschte und Meister wurde mit dem VfB. Der Junge aus dem Ländle, der mit seinem Herzensverein in aller Unbekümmertheit den Sport aufmischt und nach jedem Tor so wirkte, als wäre ihm unverhoffterweise ein Eis geschenkt worden.

Aber ach, das ist nun lange vorbei. „Unbeschwert darf man stets nur – scheinen“, schrieb einst Robert Walser, und es ist wahr, Leichtigkeit ist verboten, alles muss etwas bedeuten. Ein gutes Spiel? Schon wird man nach Ambitionen gefragt, die hoch sein müssen und weit. Zwei gute Spiele? Und wie wäre es mit dem internationalen Geschäft? Drei gute Spiele! Damit ist man quasi schon Meister.

Ein Stürmer, der drei Mal ins Tor trifft? Der nächste Holzscheit auf dem ewig zu verglimmen drohenden Scheiterhaufen der deutschen Sehnsucht nach Weltbedeutung. Kein Moment darf für sich stehen, kein Raum für Poesie; der vom Fernsehen vor sich hergetriebene Fußball ist ein Romanprojekt mit immer den gleichen Grundkonflikten, die nur noch entsprechend angepasst werden müssen. Bastei-Lübbe wäre ein guter Sponsor alles in allem.

Tiefverwurzelter Minderwertigkeitskonflikt

Bei Mario Gomez scheint mir noch ein weiterer Konflikt sich Bahn zu brechen: der des in die Welt ziehenden und dort scheiternden Schwaben. Es mag für Nichtschwaben seltsam erscheinen, aber es gibt einen tiefverwurzelten Minderwertigkeitskomplex in der schwäbischen Provinz. Allein wenn man in Pfullendorf in eine Bäckerei geht, und der oder die (immer die eigentlich) Ver­käu­fe­r*in merkt, dass man hochdeutsch spricht; dann kann man dabei zusehen, wie sich alles in ihr zusammenzieht, sie die Körperhaltung ändert und beginnt, in einer Sprache zu reden, die irgendwo zwischen Hochdeutsch und Schwäbisch angesiedelt ist und die man eigentlich Cringe nennen müsste.

Selbst wenn Schwaben versuchen, sich selbstbewusst zu geben, bleibt es doch zutiefst verkorkst. Vor Jahren gab es mal diese Baden-Württemberg-Kampagne, als Busse durch Berlin fuhren, auf denen in eleganter Schrift geschrieben stand: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ Die Kampagne hat zwei Probleme: Wer alles kann, braucht es nicht hinzuschreiben, erstens. Und zweitens: Wer einen solchen Anspruch an sich selbst hat, der kann nur scheitern, der kann nur lächerlich sein.

Tore von Mario Gomez sind nie spektakulär. Sie wirken wie eine Aufgabe, die gewissenhaft abgearbeitet werden muss. Von Gomez werden jene Momente bleiben, als er sich dieser Aufgabe nicht gewachsen sah: den Ball aus drei Metern übers Tor zu schießen (und dann auch noch gegen Österreich), die Ballannahme verkacken, oder eben jetzt: fünf Tore schießen in drei Spielen und alle vom Videoassistenten aberkannt zu bekommen.

Da hat er geschimpft, aber auf so eine autoaggressive Art: er sei wohl zu alt für den ganzen Scheiß, sagte er sinngemäß, sein Karriereende gedanklich vorwegnehmend. Es gibt keinen schwäbischen Ausdruck für „gönn Dir“. So ist es ein typisch schwäbisches Ende: mit großen Hoffnungen und leichten Herzens gestartet, am Ende mit bitter gewordener Seele aus der Welt geschieden, sich zurückgezogen in einen Turm bei Tübingen.

Eigentlich wird in dieser Kolumne RaBa Leipzig aus Prinzip ignoriert, aber heute mache ich eine Ausnahme: Timo Werner kommt gebürtig aus Stuttgart.

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